Pro CI, wieso IMMER?

Andrea Heiker
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#26

Beitrag von Andrea Heiker »

Hallo Pam,

nur mal ein Hinweis, mit 70 bzw. 80 dB ist man hochgradig schwerhörig, definitiv. Man kann folgende Skala nahmen:

bis 15 dB normalhörend
20-35 dB leichtgradig
40-55 dB mittelgradig
60-80 dB hochgradig
ab 85 dB an Taubheit grenzend

Vorsichtig! So teilen Ärzte ein, beim Versorgungsamt wird das anderes bewertet.

Wieso konntest Du früher nix hören? Weil Du keine Hörgeräte hattest? Wenn das so war, und Du erst mit 6 Jahren Hg bekommen hat, dann hast Du verdammtes Glück, die Lautsprache gut gelernt zu haben. Normalerweise ist der Zug bezüglich Lautsprache mit 6 Jahren schon abgefahren, wenn man bis dahin nicht wenigstens lautsprachliche Fundamente gelegt hat. Bei gehörlosen Kleinkindern kann man die Entscheidung nicht vertagen. Das ist unmöglich! Man muss sich ganz klar für oder gegen ein CI entscheiden und wenn man sich dagegen entscheidet, dann ist es das unwideruflich. Erwachsene Gehörlose haben nur dann eine Chance auf ein CI, wenn sie die Lautsprache gut beherrschen. Aber wir wollen doch heute mehr keinen Kind mehr antun, die Lautsprache ohne das entsprechende Gehör lernen zu müssen. DER Drill ist heutzutage nicht mehr nötig. Die Entscheidung für oder gegen Geärden ist noch einmal eine eigene Entscheidung. Wer sich gegen ein CI entscheidet, muss sich schon zwangsläufig für Gebärden entscheiden. Wer sich aber für ein CI entscheidet, kann muss aber nicht sich auch für Gebärden entscheiden. Man darf einem Kind auch Beides anbieten.

Damit wir uns richtig verstehen. Wir reden hier von Kindern, die auch mit Hörgeräten kein ausreichendes Gehör haben, um Sprache verstehen zu können. Erfahrungsgemäß liegt die Grenze da bei einem beidseitigen Hörverlust von 90 dB (pi mal Daumen)
Die mancherorts frühen Implantationen verurteilen eigentlich alle hier, auch ich.

Gruß
Andrea
seit Geburt an Taubheit grenzend schwerhörig, im Alter von zwei Jahren mit zwei Hörgeräten versorgt, seit 2002 ein CI
Pam
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#27

Beitrag von Pam »

Hallo,
ja ich dachte mir das eigentlich auch so, nur die letzten zwei HNOs haben felsenfest behauptet, dass es erst ab 90dB der Fall wäre, und ganz ehrlich, mir ist das relativ wurscht, also hab ich mich damit auch nicht weiter beschäftigt.

Ich hab als Kind zum einen wesentlich schlechter gehört und hatte keine HGs, und das obwohl mein 5 Jahre älterer Bruder nichts hört und das bei ihm vor meiner Geburt festgestellt worden ist. Die Ärzte meinten ich würde ihm nur alles nachmachen und deshalb nicht reagieren :rolleyes:
Naja, vielleicht hat mich auch diese Annahme vor einem CI bewahrt?!

Die Lautsprache hab ich erst recht spät gelernt, aber eigentlich auch von meinem Bruder. Von ihm hab ich eigentlich alles gelernt, auch Gebärden, das allerdings heimlich, weil meine Eltern absolut dagegen waren/sind. (Er wurde übrigens auch auf eine Regelschule geschickt)

Natürlich kann man sagen, kein CI -> Gebärden, oder aber, CI und mit ein wenig Glück Lautsprache ohne Probleme. Ich kenn einige, die sich das CI erst sehr spät haben implantieren lassen, mit über 20, vorher hat auch ein HG nicht geholfen und mit der Lautsprache war auch nicht viel. Einer hat jetzt nach ein paar Jahren fast perfekt die Lautsprache gelernt, durch intensives Training. Diejenigen die daran arbeiten machen laufend Fortschritte, aber einige haben vom CI genausowenig wie von Ohrenstöpseln.
Viele Grüße Pam
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#28

Beitrag von Birgit »

Es gibt noch ein Argument für CI:
eine kombinierte Hör-Sehbehinderung. Sagt jetzt bitte nicht, dass diese Behinderung nur sehr selten auftritt. Die Dunkelziffer ist enorm hoch! Viele Kinder sind in Schulen für geistig behinderte Kinder oder, da viele mehrfach behindert sind auch z.B. in Körperbehindertenschulen... Und ihr wisst selber, wie lange es manchmal bis zur Diagnose "hörgeschädigt" dauert..Leider ist das auch bei Sehbehinderungen so und bei der Kombination wird noch öfter eine Diagnose "übersehen", weil man gar nicht danach guckt!

So: was macht der Sehbehinderte mit den üblichen Gebärden? Je nach Visus (Sehstärke) und Gesichtsfeld kann er keine Gebärden erkennen, bzw. nur ganz in der Nähe oder sogar nur Körpergebärden. Was macht der ältere Gehörlose, der nur gebärden kann und aufgrund seines Alters zunehmend sehbehindert wird?
Das ist die Situation bei Kindern....

Ich denke, dass das eine wichtige Überlegung auch bei der CI-Entscheiung sein muss. Das heißt nicht, dass ich gegen Gebärden bin! Zur Zeit gibt es z.B. in Heiligenbronn einen modifizierten Gebärdensprachkurs für Eltern von hör-sehgeschädigten Kindern im Frühförderalter!

Und noch ne Überlegung: Ich finde, dass reine Gebärdensprachler entweder relativ isoliert sein können, da ihnen Gesprächspartner im allgemeinen Umfeld fehlen, denn nicht jeder Hörende lernt Gebärdensprache, bzw. die komplette Gebärdensprache.
Wenn ich nach China gehe, kann ich auch nicht erwarten, dass alle Chinesen deutsch mit mir reden.....ich muss mich, wenn ich kommunizieren will also auch anpassen...oder ich werde isoliert sein und mit Glück einige wenige Kontakte haben können.
Deshalb bin ich ein Fan der Mehrsprachigkeit! Lautsprache, Gebärden, Fremdsprachen...

Und trotzdem hat Claudia bis heute noch kein CI :D
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#29

Beitrag von Karin »

Liebe Birgit, "relativ isoliert sein können.... ;-"????

Ganz ehrlich, ich weiß nicht wie groß dein Bekanntenkreis ist, aber die Gehörlosen sieht man immer im großen Kreis. Wie viele Freunde braucht der Mensch? Früher war es sicher noch anders, aber seit es die Bahn gibt, Autos und Flugzeuge, sieht die Welt schon besser aus :-)!
Die Isolationecke in die die Gehörlosen immer gestellt werden sehe ich nicht! Sie haben es sicher manchmal schwerer, von Fall zu Fall, das haben aber andere Behinderte auch. Ich fände es schrecklich, wenn ich all mein Trachten auf das Hören lege und sprechen, und am Ende der OPs steht ein "Nichts" vor mir...

Früher wurden Eltern noch mehr als heute bedrängt, Gebärdensprache zu lassen, siehe Pams Eltern, heute machen es sich die Menschen noch selbst schwer, wenn sie gegen Gebärdensprache sind.
Es ist seltsam, wenn man Menschen auf der Straße anspricht, und sie fragt, welche Sprache würdet ihr eurem gehörlosen Kind anbieten, immer die Antwort kommt "Gebärdensprache" ! Sobald Menschen selbst betroffen sind, sehen sie es anders. ;-)

Bei Kindern mit eingeschränktem Sehen, gibt es natürlich auch noch die taktilen Gebärden. Aber du hast sicher recht, wenn ein Kind dazu noch blind ist, wird es sicher schwieriger bei der Entscheidung. Auch hier wird ein CI aber ein Ausprobieren bleiben, und der Ausweg aus der Unsicherheit, keine Kommunikation zu haben, sind wiederum die Gebärden, denn es gibt auch bei einem taubblinden Kind keine Garantie aufs Hören und Sprechen.

Liebe Grüße
Karin

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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#30

Beitrag von Birgit »

>>Ganz ehrlich, ich weiß nicht wie groß dein Bekanntenkreis ist, aber die Gehörlosen sieht man immer im großen Kreis.<<

Ja, das ist sicher oft so, aber Du musst auch zugeben, dass es nunmal auch z.B. das Arbeitsleben gibt, wo eben nicht nur Gehörlose arbeiten, oder Arztbesuche, Ämter, Einkaufen etc....
Wenn Du nur sprachlos im Supermarkt einkaufen kannst oder mit Zettel in der Bäckerei, weil die Verkäufer eben keine Gebärden gelernt haben (und vielleicht auch gar nicht lernen wollen!, wie viele auch nicht bereit sind z.B. Englisch zu sprechen oder womöglich sogar türkisch, weil derjenige, der einkauft keine andere Sprache kann), dann stell ich mir das einfach blöd vor.

>>Wie viele Freunde braucht der Mensch? Früher war es sicher noch anders, aber seit es die Bahn gibt, Autos und Flugzeuge, sieht die Welt schon besser aus :-)!<<

mag sein, aber ein bischen Geld kostet das auch!

>>Ich fände es schrecklich, wenn ich all mein Trachten auf das Hören lege und sprechen, und am Ende der OPs steht ein "Nichts" vor mir...<<

Ich hab doch ganz klar gesagt, dass ich NIX gegen Gebärden habe, sondern für MEHRSPRACHIGKEIT bin

>>Es ist seltsam, wenn man Menschen auf der Straße anspricht, und sie fragt, welche Sprache würdet ihr eurem gehörlosen Kind anbieten, immer die Antwort kommt "Gebärdensprache" ! Sobald Menschen selbst betroffen sind, sehen sie es anders. ;-)<<

Weil sie merken, dass sie eine komplette Sprache lernen müssen, die nix mit ihren bisher elernten Sprachen gemein hat. Deshalb vergleich ich die DGS ganz gern mit Chinesisch (besonders wegen der speziellen Schriftzeichen)

>>Bei Kindern mit eingeschränktem Sehen, gibt es natürlich auch noch die taktilen Gebärden.<<

Auch die hatte ich erwähnt! Nur dass ich sie "Körpergebärden" genannt hatte; Sorry für den "falschen?" Ausdruck; wobei ich vermute, dass ich in dem Bereich mindestens soviel Einblick habe wie Du, da unsere Tochter betroffen ist.

>>Auch hier wird ein CI aber ein Ausprobieren <<

Ich würde es eher "Chance" nenen; dass es keine Sicherheit gibt, weiß jeder hier; aber die gibt es auch bei einem "unbehindert" geborenen Kind nicht! (Niemand weiß, welche Anlagen ein Kind mitbringt, ob es denn tatsächlich sprechen lernen wird oder nicht, es könnte auch vielleicht eine Behinderung haben, die es trotz normalem Hören am Sprechen hindert....)

>>und der Ausweg aus der Unsicherheit, keine Kommunikation zu haben, sind wiederum die Gebärden, denn es gibt auch bei einem taubblinden Kind keine Garantie aufs Hören und Sprechen.<<

Bei diesen Kindern sind die Gebärden übrigens auch nur VIELLEICHT ein Ausweg und eine Chance zur Kommunikation, weil unsere Kinder meistens noch weitere Behinderungen haben!

Ich hab die Zitate aus Karins Posting extra in >> << egsetzt, damit der gesamte Text noch leserlich bleibt.
tschüss
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#31

Beitrag von Pam »

Mehrfachbehinderungen sind immer nochmal was ganz was anderes...

Ich find es einfach nur schade, das viele Eltern zwar sagen sie würden alles für ihr Kind tun, aber wenns dann darum geht eine Sprache zu lernen, die vielleicht ein bisschen anders ist, als sonstige Fremdsprachen, dann wird dieser Gedanke schnell verworfen und eher in die Richtung argumentiert, ich tu alles für mein Kind und lass es operieren, damit es die Chance hat mit Mühe und viel Arbeit die Lautsprache zu lernen.
Viele Grüße Pam
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Andrea Heiker
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#32

Beitrag von Andrea Heiker »

Liebe Pam,

vorsichtig. Jetzt wirfst Du den Eltern Faulheit vor und das ist das Letzte was man Eltern behinderter Kinder vorwerfen kann. Eine lautsprachliche Förderung bringt genauso viele Unbequemlichkeiten mit sich wie eine neue Sprache zu lernen. Hast Du eigentlich eine Vorstellung davon, welchen Therapiemarathon sich ELtern eines hörgeschädigten Kidnes sich unterwerfen? Viele Kinder bekommen in den ersten Jahren, Ergo und Logo, beides einmal die Woche, aufgelockert wird das ganze von der Rennerei zum Akustiker zu den Ärzten. Geschwisterkinderkinder und die Arbeit muss man dann auch noch eunter einen Hut kriegen. Ein Zuckerschlecken ist das sicherlich nicht.

Pamela was ist eigentlich Dein Anliegen? Bist Du gegen ein CI? Bist Du für Gebärden? Vermischst Du Beides?

Man kann es aber nie pauschal sagen. Es kommt immer auf das Kind an.

Ich finde es auch reichlich seltsam, wenn hier Unterschiede zwischen Mehrfachbehinderten und nur hörbehinderten Kindern gemacht werden. Genauso ist es unerträglich wenn zwischen gehörlos geborenen oder ertaubten Kleinkindern unterscheiden wird. Ein mir sehr gut bekanntes Kind mit CI wurde gehörlos geboren und diesem Kind hat das Hören bitterlich gefehlt. Das Kind hatte schwere Entwicklungsverzögerung und autistische Verhaltenszüge. Als es mit einem Jahr ein CI bekam, war es nach der Erstanpassung praktisch wie ausgewechselt. Das Kind konnte praktisch auf Knopfdruck hören und ist heute ein ganz normales, intelligentes Kind, in jeder Hinsicht altersentsprechend oder sogar darüber hinaus entwickeltes Kind. Genauso finde ich es unerträglich, wenn eine Mehrfachbehinderung als Kriterium für oder gegen ein CI hergenommen wird. In der hiesigen Klinik operiert man geistig behinderte Kinder z.B. mit Downsyndrom, man hat auch bedingt durch das Taubblindenzentrum sehr viele sehbehinderte Kinder mit einem CI versorgt, aber autistische Kinder operiert man nicht. Diesem Kriterium wäre das oben beschriebene Kind beinahe zum Opfer gefallen.

Ich denke, die Chance auf das Hören hat jedes Kind verdient. Ich glaube wir selbst, sie wir mal hörgeschädigte Kinder waren, sehen das Ganze auch unter einem anderen Blickwinkel als die Eltern. Hier wir denken doch insgeheim: "Ja mei, so schlimm sind schlappe Ohren doch nicht. Regt Euch nicht so auf" Aber für hörende Eltern ist das ein tiefgehender Schock. Und Hören bedeuten ganz einfach auch Emotionen. Das merkt man oftmals erst an kleinen Begegnungen. Hier schrieb ein Vater mal: "Jetzt schmeiße ich alle Kassetten von unserem Großen weg. Der Kleine hat doch nichts davon" Hinter diesen Worten konnte man spüren, dass der Vater verzweifelt war. Hier ist auch klar, warum die Eltern irgendwelche Gehörlosen auf der Straße, deren Muttersprache Gebärden sind, und das eigenen Kind nicht mit der gleichen Persepktive betrachten können. Die Mutttersprache ist nicht umsonst die Sprache, die die Mutter spricht.

GRuß
Andrea
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#33

Beitrag von TouchMySoul »

Erstellt von Andrea Heiker
Die Mutttersprache ist nicht umsonst die Sprache, die die Mutter spricht.
hm DAS sehe ich ein wenig anders weil Gebärden nicht meine Sprache ist

:D

ich sage immer Jerry´s Muttersprache sind die Gebärden und alles was er event. an Lautsprache dazulernt ist seine Fremdsprache :D

achso und bezüglich CI ... damals hätten wir wahrscheinlich viel dafür gegeben um ihn operieren lassen zu können ABER heute sind wir froh das uns diese Entscheidung von Mutter Natur abgenommen wurde und es sein noch gesagt unser Jerry HÖRT kassetten ;) obwohl er komplett GL ist
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#34

Beitrag von Karin »

Liebe Andrea, warum nicht vermischen? Warum nicht gegen CI? Warum nicht für CI?

Das sind die falschen Fragen - Die Frage von Pam, so hab ich sie verstanden:
Warum immer so das CI anbieten (anpreisen), ohne den Einzelfall zu kennen?
Ist das richtig Pam?
Viele Grüße
KArin
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#35

Beitrag von Pam »

Ne vorwerfen möcht ich keinem was und ich denke das geht aus meinem ersten Post ganz klar hervor, oder?
Das war nur eine Reaktion auf den vorhergegangenen Post.
Meine Meinung zum CI hab ich schon geäußert, wenn das ein bisschen unklar sein sollte, tuts mir Leid, aber besser konnt ichs grad nicht formulieren.

Doch ich bin der Meinung, dass man einen Unterschied machen muss zwischen einem Kind, das nichts hört, seine Welt aber visuell förmlich aufsaugt, und einem Kind, dem auch das 'fehlt'. Ich weis, dass einige der Meinung sind, dass man in diesem Punkt nicht differenzieren sollte, aber man kann auch nicht einfach alle in einen Topf werfen!

Viele Grüße Pam
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#36

Beitrag von Pam »

@ Karin
ja das war unter anderem meine Frage :)
Denn es wird ja doch als das Allheilmittel ganz gern betrachtet. Ich weis das sich alle Eltern den Kopf darüber zerbrechen und nur das Beste für ihr Kind wollen und bitte fühlt euch von meinem Vergleich nicht persönlich angesprochen, nur tritt öfters der Anschein auf, Kind hört nichts? Ach kein Problem, die Technik ist ja heut sooo weit, auf gehts in die Klinik, CI, Kind hört, fertig.

<<Ich denke, die Chance auf das Hören hat jedes Kind verdient.<<
Jein, ich bin da nicht unbedingt deiner Meinung. Ich weis was du damit ausdrücken willst und versteh das auch, nur ich seh es noch aus einem anderen Blickwinkel. Wieso wird das Hören denn immer als so perfekt betrachtet? Ich kann mich wieder mal nicht ausdrücken :mad: , aber ich versuchs. Wieso braucht denn ein Kind die Chance auf das Hören, wieso soll es denn verändert werden, warum unbedingt??[size=small]

[Editiert von Pam am: Donnerstag, März 8, 2007 @ 22:57][/size]
Viele Grüße Pam
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#37

Beitrag von Andrea Heiker »

Genau,

man kann nicht alle Kinder in einen Topf werfen.

Aber wie kann man denn feststellen, ob einem Kind das Hören fehlt? Wenn ein gehörlosen Kind nicht schaut, wird es doch als geistig behindert oder eben autistisch abgetan. Das Kind von dem ich berichtet habe, ist nicht das einzige gehörlose Kind, dem man autistische Züge angedichtet hat. Natürlich gibt es autistische gehörlose Kinder. Bloß wie unterscheidet man die echten von den falschen Autisten?

Gruß
Andrea
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#38

Beitrag von Andrea Heiker »

Hallo Pam,

wo steht hier geschrieben:
Kind hört mit CI, fertig?

Hier wir allenfalls der Hinweis gegeben, mit der Hörkurve würde ein CI vom Hören mehr als Hörgeräte bringen. Das ist nicht gelogen. Es wird nicht verschwiegen, dass man auch mit CI noch mehr oder weniger schwerhörig ist. Es wird auch nicht verschwiegen, dass man mit CI das Hören lernen muss, es wird auch keine Heilsversprechungen bezügl. des Spracherwerbs ganz von allein gemacht.

Der zweite Punkt wo zumindest ich gerne auf das CI hinweise, ist, wenn jemand mit einer progredienten Schwerhörigkeit kommt und Angst hat, eines Tages taub zu sein. Dann schreibe ich gerne, keine Angst vor der Taubheit, es gibt das CI. Aber diese Leute sind ja logischerwese schon älter und können artikulieren, dass ihnen das Hören abgeht.

GRuß
Andrea
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#39

Beitrag von Andrea Heiker »

Nachtrag:

hmmm, Ich würde Hören nicht gerade als perfekt bezeichnen und perfekt hören kann ich auch nicht. Aber ich denke doch, dass Hörenkönnen Vieles im Leben erleichtert. Man braucht viel seltener einen Dolmetscher, man hat mit Gehör eine größere Chance das eigene Leben ohne Hilfe auf die Reihe zu kriegen (Telefon, Schriftverkehr, Verhandlungen mit Banken, Versicherungen, beim Autokauf). Mit Gehör hat man beruflich deutlich bessere Möglichkeiten. Wenn man in einer hörenden Familie lebt, kann man viel leichter mit der gesamten Familie, also auch Onkel, Tante, Oma, Opa usw. kommunizieren. Überhaupt kann man mit Gehör in dem losen Umkreis, den man sich nicht unbedingt selbst aussucht besser kommunizieren (Nachbarn, beim Einkaufen, Arbeitskollegen usw.). Mit Gehör kann man sich auch selbst entscheiden, ob man lieber hörende oder gehörlose Freunde haben will. Diese Liste könnte ich endlos dortsetzen.

Und für die Chance auf all dieses, muss man eine (im Falle einer Reimplantation auch mehrere) verhältnismäßig leichte und relativ schmerzlose OP über sich ergehen lassen. Wenn man in den Foren liest, ist für viele das Unangenehmste an der ganzen Geschichte, dass man sich 14 Tage die Haare nicht waschen darf. Sowohl mein Blindarm als auch die letzte größere Zahnbehandlung war wesentlich unangenehmer als meine CI-OP. Und selbst wenn das CI nur einen mäßigen Erfolg zeigt, so habe ich es doch wenigstens versucht. In meinen Augen ist das Verhältnis zwischen Chancen und Risiko extrem günstig. Die Risko soll allerdings jeder für sich selbst oder sein Kind abwägen.
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timtom

Re: Pro CI, wieso IMMER?

#40

Beitrag von timtom »

Hallo Pam,

ich war bei der Diskussion ja bisher immer nur stiller Mitleser...nur mal ne Frage, was ist eigentlich Deine Motivation für diese Dikussion? Ich verstehe das nicht so richtig, wenn Du so Sätze sagst wie folgende

"Wieso braucht denn ein Kind die Chance auf das Hören, wieso soll es denn verändert werden, warum unbedingt??"

"Ich find es einfach nur schade, das viele Eltern zwar sagen sie würden alles für ihr Kind tun, aber wenns dann darum geht eine Sprache zu lernen, die vielleicht ein bisschen anders ist, als sonstige Fremdsprachen, dann wird dieser Gedanke schnell verworfen und eher in die Richtung argumentiert, ich tu alles für mein Kind und lass es operieren, damit es die Chance hat mit Mühe und viel Arbeit die Lautsprache zu lernen."

Für mich klingt es, als wenn Du persönlich Gründe für diese Diskussion hast...???!!

Ich find einfach, dass diese Diskussion keinen Sinn macht, wenn man nur sagt pro oder contra. Pam, manche Eltern entscheiden sich für das eine, manche für das andere, aber die allermeisten doch, damit es ihren Kindern besser geht. CI hin oder her. Eltern müssen aufgeklärt werden. Egal, um welche OP es sich handelt. Das werden sie aber leider oft nur unzureichend. Und, und dass finde ich das Wichtigste an der ganzen Diskussion, es sollten nicht mit den Hoffnungen der Eltern leichtfertig umgegangen werden. Denn enttäuschte Hoffnungen sind die schlimmsten.

Pam, ich bin total dafür, dass Eltern nicht für ihre Kinder, sondern mit ihren Kindern entscheiden. Aber oftmals lässt der medizinische Befund es nicht zu. Bei anderen OPs, die hier auch im Forum schon mal zur Sprache kamen, da sollten die Eltern auf jeden Fall so lange warten, bis die Kinder es selber entscheiden können und nicht bis zu dem Zeitpunkt, wo manch Ärzte meinen, dass das Kind nun "reif" sei.Das Einzige, was die Eltern können, ist dem Kind möglichst viele Chancen und Möglichkeiten zu "präsentieren", aus denen das Kind vielleicht später mal auswählen kann.



Mitternächtliche Grüße!

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[Editiert von timtom am: Freitag, März 9, 2007 @ 00:16][/size]
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[Editiert von timtom am: Freitag, März 9, 2007 @ 00:18][/size]
Maike
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#41

Beitrag von Maike »

Hallo Andrea,

ich kenne nur EIN Kind persönlich, dem man autistische Züge angedichtet hat - und es ist das Kind, was wir beide kennen.

Es ist eigentlich NICHT der Regelfall, dass ein gehörloses unversorgtes Kind als "autistisch" gelten muss - es ist einfach von der persönlichen Frühförderung abhängig - ganz gleich ob mit oder ohne CI. Ich war auch kein "autistisches" Kind - und meine Schüler alle auch nicht...

Hallo Pam,

das Problem ist einfach, dass es GESETZMÄSSIGKEITEN in neurologischer Hinsicht gibt: Bis zum Alter von 8 Monaten werden die größten Mengen (nämlich 80%!!!) neurotropischer Hormone ausgeschüttet, die für die Bildung eines Hörzentrums verantwortlich sind. Danach die restlichen 20%. Wobei das kindliche Gehirn auf Grund seiner Plastizität sehr viel ausgleichen kann, wenn es z.B. erst im 2. Jahr implantiert wird. Aber danach ist es einfach nicht mehr möglich, ein Hörzentrum im "großen Stil" auszubilden.

D.h., man braucht KEIN CI, um sprechen etc. zu lernen. Ich bin selber ein Beispiel dafür! Man braucht auch kein CI, um "glücklich" zu werden.

ABER: Um ein Hörzentrum ausbilden zu können, MUSS man Höreindrücke bekommen. Die sind bei einem bestimmten Hörverlust (z.B. bei mir) einfach nur noch mit CI möglich. Kein Hörgerät der Welt hätte mich jemals so versorgen können - das Hören mit Hörgerät und CI ist für mich wie Tag und Nacht. Ehrlich gesagt, bei mir ist es sogar so krass, dass ich das Hörgeräte-Hören bei meinem Hörverlust nur noch als "Müll" bezeichnen kann. Ich kann mich heute nicht mal mehr daran erinnern, wie das Hörgerät geklungen hat, es war viel zu wenig. Dabei habe ich Hörgeräte über 30 Jahre lang gehabt.

Hätte ich im 1. Lebensjahr CI's bekommen, würde ich heute ganz sicher mit offenem Sprachverstehen rumlaufen können etc. - nein, ich trauere dem NICHT nach, ich hätte kein anderes Leben haben wollen als das, was ich hatte. Ich habe auch das Hören an und für sich nicht vermisst. Aber ich hatte auch das wahnsinnige Glück, zu den gerade mal mickrigen 3 (DREI) Prozent MEINER Generation zu gehören, die als Gehörloser das Abi gemacht hat, nur weil meine Eltern JEDEN TAG bis zu DREI stunden lang mit mir arbeiteten. Ich bin meinen Elternschätzen echt dankbar dafür - ich weiß, ich habe für mich die besten Eltern der Welt. Dennoch wäre diese harte Arbeit mir und meinen Eltern erspart geblieben, hätte ich damals, 1969 oder 1970, CI's bekommen können.

Also, es ist nicht mal eine ideologische Diskussion, sondern eine, die sich an den biologischen Gesetzmäßigkeiten orientiert. - Wenn Eltern sich entscheiden, ihr Kind rein gebärdensprachlich zu erziehen, dann ist es ihre Entscheidung. Dieses Kind wird, wenn es jedoch so taub ist wie ich ohne CI, immer von Dolmetschern etc. abhängig sein. Ich kann das echt sagen, ich habe selbst OHNE CI's studiert und 2 Staatsexamina gemacht - alles ohne CI. Jedoch war ich beim Studium angewiesen auf nette KommilitonInnen, die mir ihre Mitschriften zum Kopieren liehen und auf Dolmetscher. Das war bisweilen doch ziemlich mühsam...

Daher wäre es für mich gar keine Frage, meine Kinder, sollte ich jemals welche haben und sollten sie so taub sein wie ich, mit CI zu versorgen. Es hat mit Ideologie NICHTS zu tun, sondern damit, dass ich sie so unbelastet von einer vertherapierten Kindheit aufwachsen lassen möchte - in der Lautsprache und es hier ihnen so einfach wie möglich machen möchte. Denn die Gebärdensprache kriegen sie bei mir (und meinem Freundeskreis, der eben auch aus Gehörlosen besteht) sowieso mit.

Grüßle
Maike
von Geburt an gehörlos, lautsprachlich aufgewachsen (kann aber auch DGS), 2 CI's seit Dez 2000 und Juli 2003
Günter Kissmann
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#42

Beitrag von Günter Kissmann »

Hallo Pam,

du gibst sehr wenig preis von dir. Fragen perlen anscheinend an dir ab.

Oder habe ich da was überlesen?

Wenn ich mir das so anschaue, was du da schreibst erinnert mich das an regiliöse Sektierer die da sagen °So wie du bist hat Gott dich gewollt und so bleibst du auch"

Liege ich da richtig mit meiner Vermutung?

Sollte dies so sein entgegne ich dem. Gott hat dem Menschen den Verstand gegeben auf das er ihn einsetzen möge.

Liebe Grüße,

Günter

Günter, 1956 von Kind auf sh seit 2003 Ci, Jan-Derk 1983 normalh. Nina 1985 mittelgr, sh. Mathis 1986 mittelgr.sh, Janna 1991 normh. und Malte 1998 hochgr. sh
Günter Kissmann
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#43

Beitrag von Günter Kissmann »

Nur tur Erklärung,

ich hatte heute ein sehr intensives Gespräch mit den Zeugen.:D

N8 zusammen

Günter
Günter, 1956 von Kind auf sh seit 2003 Ci, Jan-Derk 1983 normalh. Nina 1985 mittelgr, sh. Mathis 1986 mittelgr.sh, Janna 1991 normh. und Malte 1998 hochgr. sh
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#44

Beitrag von Gudrun »

Schönes Posting, Maike, das mir aus der Seele spricht.

Hallo Birgit,

was das Musik-Gehör deiner Tochter betrifft, gibt es auch die Möglichkeit, die Elektrode nicht in die ganze Schnecke einzuführen, dann bleiben bestimmte Frequenzen erhalten, so dass man dann mit CI UND mit Hörgeräten hören kann. Ich weiß allerdings nicht, wie sich das auf das gesamte Musik-Gehör auswirkt.
Da frag ich mich dann auch, ob dieses Kind nicht dann auch seinen Eltern den Vorwurf macht, dass sie einfach über seinen Kopf entschieden haben, es nicht zu implantieren...
(Birgit)

Das ist der springende Punkt. Das Argument, man soll warten, bis das Kind selbst entscheiden kann, kann gar nicht greifen, da eine Entscheidung der Eltern gegen das CI auch schon eine Entscheidung ist. ;)
Außerdem dauert es bei taubgeborenen Kind sehr viel länger, manchmal bis zu drei Jahren bis sich ein Hören, Verstehen und sprechen bei den Kindern einstellt, wenn es sich einstellt.
(Karin)

Das "sehr viel länger" stimmt so nicht, wie lange es dauert, hängt sehr vom Engagement der Eltern ab. Wenn ein Kind sehr intensiv in Lautsprache gefördert wird, zeigt sich das viel schneller als bei einem Kind, das nur dann und wann mal sprachliche Inputs von seiner Familie bekommt. Ich glaube mal, dass da Geschwister auch einiges ausmachen, das müsste man mal erforschen. Kommunikation läuft in den ersten ein bis zwei Jahren noch sehr stark nonverbal ab. Auch hörende Kkleinkinder und hörende Eltern verstehen sich gegenseitig nicht immer.
Aber ich denke doch, dass Hörenkönnen Vieles im Leben erleichtert.
(Andrea)

Das sehe ich ganz genauso. Pam, ich sehe hier nicht, dass das CI als Allheilmittel dargestellt wird, ich denke vielmehr, dass das deine subjektive Wahrnehmung ist. Gerade die starken CI-Vertreter wie Andrea Heiker differenzieren immer und weisen auch immer darauf, dass ein Kind auch mit CI nicht automatisch hörend ist. Ich denke nicht nur an die Kindheit, sondern auch an das Erwachsenenleben. Was nützt mir eine unbeschwerte Kindheit, wenn ich im Erwachsenenalter aufgrund stark eingeschränkter Hör- und evt. Sprachkompetenzen sehr deutlich an Grenzen stoße, nicht nur im Berufsleben, sondern auch im Alltag, denn man ist ja nicht rund um die Uhr mit Hörgeschädigten zusammen (außer man hat in der Familie und unter Verwandten Hörgeschädigte). Das Erwachsenenalter dauert sehr viel länger als die Kindheit.

Es ist so, dass man mit meinem Hörstatus für viele Arbeitgeber unattraktiv ist, auch mit der vollen Lautsprache, wenn man nicht telefonieren kann, keine so astreine Artikulation hat, bei der Kommunikation auf Rücksicht durch andere angerwiesen ist.

Sonst werde ich auch oft daran erinnert, dass ich manchmal wirklich massiv kommunikationsbehindert bin, spätestens in etwas größeren Gruppen von Hörenden, wenn mehrere durcheinander reden. Ich kann damit gut leben, ich habe im Hinblick auf Hören und Sprechen ohnehin das Optimum erreicht - bezogen auf meine Generation (ähnlich wie bei Maike, die hörbiographisch noch ungünstigere Vioraussetzungen als ich hatte).

ABER hätte es zu meiner Kindheit all die Möglichkeiten von heute gegeben (z.B. Früherkennung nach ein paar Tagen, CI, auditiv-verbale Methode, lockere Spracherziehung), möchte ich nicht wissen, wie ich es heute als Erwachsene psychisch verkraften würde, wenn ich wüsste, dass es all die Möglichkeiten zu meiner Kindheit gegeben hat und nicht ausngenutzt wurden. Ich denke, das ist ein Punkt, der heute manchmal übersehen wird.

Ich beneide die Eltern von heute nicht, weil sie jetzt so unendlich viele Wahlmöglichkeiten haben und lebenslang auswirkende Entscheidungen treffen müssen (man kann auch in der Hörgeschädigtenpädagogik den modernen Begriff "Pluralität" verwenden). Deshalb finde ich es außerordentlich wichtig, dass sie sich wirklich umfassend informieren und nicht schon nach 1 Woche sagen: "Bei dem Weg bleibe ich, da kann ich nichts falsch machen!" Schließlich müssen sie ihre Entscheidung später, wenn ihr Kind erwachsen ist, auch begründen können. Ich denke, das A und O ist es, dass die Eltern mit ihrem ganzen Herzen hinter der Entscheidung stehen. Das spürt das Kind, dann wird es die Entscheidung der Eltern auch im Erwachsenenalter eher vertreten.

off topic: Was ich übrigens ulkig finde: Meine Mutter sagt, wenn es das CI in meinem Kleinkindalter gegeben hätte, würde sie es mir ohne Wenn und Aber anpassen lassen. Aber jetzt, wo ich erwachsen bin, wäre sie nicht so begeistert davon, wenn ich mich für ein CI entscheiden würde. :D[size=small]

[Editiert von Gudrun am: Freitag, März 9, 2007 @ 21:27][/size]
hadhami
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#45

Beitrag von hadhami »

Hallo Maike,

es gibt auch andere gehörlose kinder, die autistische verhaltenszüge entwickelt haben!
das hat mit einer fehlenden förderung NICHTS zu tun. genau diese theorie: durch gute geeignete förderung vermissen die gehörlosen kinder das hören nicht, oder sie sind halt autisten, hat uns sehr viele probleme in der vergangenheit bereitet. ich kann dir nur sagen, von Taha haben die therapeuten VIEL gelernt. auch wenn man als GehörlosenlehrerIN oder gehörlosenpädagogIN in einer 30-jährigen karriere solche kinder nicht getroffen hat, heißt es nicht, dass es diese kinder nicht gibt!

kinder, die z.b. erst bei der geburt durch einen sauerstoffmangel das gehör verloren haben, könnten sehr wohl das hören vermissen. denn sie haben mindestens 4 monate im bauch der mutter gehört. es gibt vieles was noch unerforscht ist.

ich kann dir auch 100%ig versichern, dass selbst wenn ich mit meinem sohn 5 stunden täglich geübt hätte, hätte er kein oder nur ganz wenige worte gesprochen. für eine intensive sprachförderung ohne hören muß das kind bestimmte voraussetzungen erfüllen.
es gibt unter den gehörlosen ausnahmen, die in die lautsprache gekommen sind. du gehörst zu diesen ausnahmen. sicherlich haben deine eltern ganz viel dazu beigetragen, aber du hattest die "voraussetzungen" erfüllt. UND du gehörst auch zu den "vanilla-deafs", die außer gehörlosigkeit keine anderen probleme hatten/haben.

bei einem 10-monate alten kind mit 5-monaten entwicklungsverzögerung und einer massiven wahrnehmungsstörung möchte ich wirklich wissen, wie man üben könnte. egal ob DGS oder sprachförderung!

es geht hier nicht um CI ja oder nein, denn du sagst es selber, dass du dein kind implantieren würdest. bei mir geht's hier lediglich um die aussage: gehörlose kinder vermissen das hören nicht und entwickeln sich bei einer guten förderung normal.

ohne CI wäre die superentwicklung von meinem sohn nicht möglich gewesen. ich rate aber niemanden zum CI. ich gebe unsere positive erfahrung weiter. und jeder muß sich intensiv informieren. risiken und vorteile abwägen. und ENTSCHEIDEN.

und Pamela, ja wir eltern dürfen, müssen und wollen für unsere kinder entscheiden. und das tun wir auch jeden tag mit konsequenzen auf die entwicklung von unseren kindern. kein kind wird gefragt, ob er in den montessori- oder waldorfkindergarten gehen will und ob er gegen masern geimpft werden möchte...

gute nacht

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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#46

Beitrag von hadhami »

ich freue mich, dass tina hier über die probleme, die sie mit sarah auf dem ci-weg begegnet ist, schreibt.
das ist die andere kehrseite der medaille. das müssen die eltern wissen.

Und wer denkt, wir eltern nehmen den einfachen weg, wenn wir uns für ein CI entscheiden, hat KEINE ahnung. das klingt vielleicht hart, aber es ist so!

das können nur eltern wissen, die es durchgemacht haben: panische angst vor der OP, albträume, ... UND der ewige kampf um die integration der kinder. da wäre der weg von DGS und gehörlosenschule viel einfacher.

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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#47

Beitrag von Maike »

Liebe Hadhami,

ich kann Deine Position sehr gut verstehen, weil Du selbst in der Situation bist, dass Taha gehörlos und entwicklungsverzögert war/ist und Ihr ihn wirklich gefördert habt.

Wenn Du meine Postings kennst, wirst Du sicherlich auch bemerkt haben, dass gerade ICH mich ständig dagegen WEHRE, wenn jemand behauptet: CI rein, AV-Therapie, Kind hört und versteht. So eben NICHT bei allen Kindern. Dass generelle Aussagen eben nicht auf alle Kinder zutreffen, habe ich immer und immer wieder betont.

Es gibt eben keine allgemeingültigen Aussagen, die auf ALLE Kinder zutreffen... - daher habe ich mich ein bisschen über Dein Posting gewundert. Ich weiß, dass für Taha das CI absolut DER Weg ist, dass er ohne CI es sehr schwer gehabt hätte etc. - und so freue ich mich total, dass Taha sich so richtig super mit CI entwickeln konnte.

Bitte verzeih mir noch eine Anmerkung: Keiner weiß, ob Taha nicht DOCH nach zwei oder zweieinhalb Jahren mit einer sehr guten Förderung (zum Beispiel nach der taktilen Methode nach Guberina, mit der ich das Sprechen ohne Hören gelernt habe) auch ohne CI zum Sprechen gekommen wäre...

...ich kenne Kinder, die ohne CI aufgewachsen sind, heute erwachsen sind und bei denen man niemals vermutet hätte, dass sie zum Sprechen jemals kommen würden, da sie dermaßen zurückgeblieben waren in der Entwicklung. Ich bin mit Schulkameraden auf dem Gymnasium gewesen, da hat man gesagt (als sie noch im Kindergartenalter waren), dass sie vermutlich geistig udn hörbehindert seien - dabei hatten sie eine Hochbegabung... - ich habe Fotos von Kindern, die bei mir in der Klasse waren, gesehen, als sie noch Kinder waren, da sahen sie echt "behindert" aus (der Ausdruck ist schrecklich), aber sie haben dann das Abitur gemacht, haben zum Teil promoviert etc....

Nur: Auch wenn Taha eventuell (ich betone: eventuell!) auch ohne CI mit optimaler Frühförderung zum Sprechen und in die Sprache gekommen wäre, ein CI ist einfach DIE Alternative: Es wird/wurde ihm viel leichter gemacht, in die Sprache reinzuwachsen, er ist regelrecht aufgeblüht (soweit ich es aus Postings mitbekam - ich würde mich sehr freuen, ihn mal wieder zu sehen :)) etc. Ohne CI hätte man Taha nur mit dem Sprechenlernen "gequält". (Übrigens war mein eigenes Sprechenlernen auch kein "Vannilleweg" - nein, im Gegenteil... - da sind auch viele Tränen geflossen...)

Ich betone: EVENTUELL. - Umgekehrt kenne ich eben auch Kinder (die bei mir in der Klasse waren (= die ich als Lehrerin selbst unterrichtet habe / unterrichte) z.B., die ganz tolle Eltern haben, die alles für sie getan haben und die jede nur erdenkbare Frühförderung in Anspruch nahmen, die mit ihnen daheim viel gearbeitet haben etc.) und die eben DOCH nicht in die Lautsprache reingewachsen sind, weil sich die Diagnose: "orale Dysphasie" bei ihnen stellte. Bei diesen Kindern hätte kein CI der Welt es geschafft, sie zum altersgemäßen Hören und Sprechen zu bringen, da die entsprechenden neurologischen Voraussetzungen schlicht und einfach fehlen.

Genau deshalb weigere ich mich - und davon kriegt keiner mich weg - irgendwelchen allgemeingültigen Aussagen zuzustimmen (siehe oben). Jedes Kind ist individuell und einzigartig. Und doch gibt es Gesetzmäßigkeiten, weshalb ein Kind eben mit und ohne CI Sprechen lernen kann, wenn es nicht z.B. eine orale Dysphasie oder andere Störungen hat, bei denen es einfach nicht geht und bei denen daher die Gebärdensprache wichtig ist.

Darum könnte ich es für mich auch nicht verantworten, ein von Geburt an gehörloses Kind (wäre es mein Kind), nicht mit CI zu versorgen - udn darum wäre es KEINE ideologische Entscheidung, mein Kind implantieren zu lassen. Es geht einfach um Gesetzmäßigkeiten in neurologischer Hinsicht, die auszunützen sind, die bei jedem Kind da sind.

Natürlich war ich ein gehörloses Kind ohne jede Zusatzbehinderung oder -teilleistungsstörung. Zudem habe ich wunderbare Eltern, die sich total für mich eingesetzt haben etc. - es hat also alles gestimmt.

Noch was: Natürlich können Babies, die im Mutterleib noch gehört haben, das Hören vermissen. Das glaube ich sofort, dass das Hören bei ihnen im Unterbewusstsein vorhanden sein könnte. solche Babies meine ich NICHT, auch wenn ich dies niht explizit in meinem Posting herausstellte. Ich habe z.B. nie was gehört, auch nicth im Mutterleib...

Alles Gute für Euch und Taha (bin gespannt, wie es bei ihm mit dem 2. CI wird!),

herzliche Grüße
Maike

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[Editiert von Maike am: Samstag, März 10, 2007 @ 22:32][/size]
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#48

Beitrag von Maike »

Erstellt von hadhami
Und wer denkt, wir eltern nehmen den einfachen weg, wenn wir uns für ein CI entscheiden, hat KEINE ahnung. das klingt vielleicht hart, aber es ist so!

das können nur eltern wissen, die es durchgemacht haben: panische angst vor der OP, albträume, ... UND der ewige kampf um die integration der kinder. da wäre der weg von DGS und gehörlosenschule viel einfacher.

Ich glaube, dass nur "Deppen" behaupten, dass es ein einfacherer Weg sei, wenn Eltern sich für ein CI entscheiden. Daher ist es sehr wichtig, dass Du das hier nochmal so betonst.

Nur: Der Weg von DGS und Gehörlosenschule ist NICHT einfacher. Im Gegenteil!!! DGS ist eine wunderbare Sprache, man kann damit sogar studieren etc. - aber man wird IMMER von Dolmetschern, Schriftdolmetschern, Mitschriften von lieben KommilitonInnen, Telefonvermittlungszentralen etc. abhängig sein. Und es gibt einfach Chefs in Firmen, die niemals einen DGS-Gl einstellen würden, einfach, weil der Job Teamarbeit und oder ein Mindestmaß an akustischem Verstehenkönnen (z.B. fürs Telefonieren) verlangt.

Die Kinder, die nur mit DGS aufwachsen, leiden immer wieder darunter, dass sie nicht mit den Nachbarskindern spielen können. Das sehe ich selbst aus den Berichten meiner Schüler.

Sogar ich habe es als Kind (obwohl lautsprachkompetent) schwerer gehabt als andere hörende Kinder, mich in deren Spielgemeinschaften zu integrieren. Da wäre es auch für mich ganz sicher mit CI leichter gewesen...

Grüßle
Maike

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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#49

Beitrag von Maike »

Liebe Andrea,

habe grad nochmals ganz weit oben ein Posting von Dir gelesen, in dem Du schriebst, dass ein autistisches Kind nicht mit CI versorgt werden würde...

...weißt Du Näheres darüber?

Ich kenne zwei autistische Kinder, die beide mit CI versorgt sind. Eines davon kommt mit CI so gut zurecht, dass es in eine "hörende" Schulklasse für autistische Kinder integriert werden konnte. Es versteht und hört supergut. ALLERDINGS ist es hochinteressant: Sobald dieses autistische Kind daheim ist, zieht es als erstes sofort sein CI aus und ist dann nicht mehr ansprechbar. Interessanterweise erst durch die Gebärdensprache (haben die Eltern gelernt, BEVOR das Kind implantiert wurde - und das Kind versteht sehr gut die Gebärdensprache - daher ist es auch so phänomenal, wie viel es eben danach doch noch mit CI hört und versteht) wird das Kind auch in der Familie ansprechbar... - und das CI zieht das Kind auch erst dann an, wenn es Musik zu hören gibt. Ansonsten nicht bzw. nur in der Schule, da ist es freiwillig drin.

Mich interessiert daher schon sehr, wie die MHH es begründet, autistische Kinder nicht zu implantieren... - bei den beiden Fällen, die ich kenne, war es echt gut, dass sie implantiert worden sind...

Hat die MHH schlechte ERfahrungen mit autistischen Kindern gemacht? Oder was ist der Grund?

Grüßle
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Re: Pro CI, wieso IMMER?

#50

Beitrag von Karin »

...haben die Eltern gelernt, BEVOR das Kind implantiert wurde - und das Kind versteht sehr gut die Gebärdensprache - daher ist es auch so phänomenal, wie viel es eben danach doch noch mit CI hört und versteht)

Hallo Maike, was soll denn diese Aussage?

Kannst du mal erklären, was du damit meinst?
danke
Karin
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