Ein ketzerischer Beitrag

Hier kann man sich vorstellen oder eigene Erlebnisse berichten
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Gerhard
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Ein ketzerischer Beitrag

#1

Beitrag von Gerhard »

Hallo zusammen.
Wieder ein Neuer. Gerhard heiße ich. Bin 77. Meine Umgebung meint ich hätt's mit den Ohren. Bei hundert mal "Wie bitte?" am Tag glaub' ich das langsam auch. Das heißt, ich weiß es eigentlich längst.
Was mich immer von "Hörverstärkern" abgehalten hat war, dass ich damit vom mehr oder weniger engagierten oder fähigen Hörgeräteakustiker abhängig würde. Ich hoffte, dass die breite Masse der Nutzer es schneller schaffen würde, vom geschlossenen Verbund der hauptsächlich die eigenen merkantilen Interessen im Auge habenden HG-Hersteller und HG-Vertreiber in die Freiheit der eigenen Feinanpassung zu gelangen, wenn nur genügend Leute entsprechende Forderungen stellten.
Ich, und ich bin sicher tausende mit mir, würde die Dinger am liebsten selbst optimal und situationsbezogen den jeweiligen oft lästigen Umweltgeräuschen anpassen können, oder besser gesagt, aus dem Pegel um uns herum unser Nutzsignal herausfiltern können.
So erlaubt man uns nur, aus 5, 6 oder 7 vom Akustiker in unendlichen Sitzungen - "wie ist es jetzt - ja schon ein bißchen besser, aber jetzt ist es richtiggehend scharf, das vorletzte war etwas angenehmer......" -voreingestellten Profilen auszuwählen, deren Eigenschaften man sich genau merken muß um dann, Signaltöne mitzählend, das richtige Profil einzustellen.
Beim heutigen Stand der Microelektronic meine ich, müßte es möglich sein, dem HG-Nutzer nicht nur 5 von 16 bis 20 Kanälen zur Feinanpassung zur Verfügung zu stellen, sondern alle 20 oder bei weiterer technischer Entwicklung sogar noch mehr. Den Anwender brauchte dann auch nicht mehr zu interessieren, welche Profilnummer die gerade richtige ist. Mit der Fernsteuerung oder einer Wippe am Gerät, könnte er feinstufig durch alle, natürlich in sinnvoller Reihenfolge angeordneten Kanäle scrollen, bis er sein zur Situation passendes Nutzsignal über allem "Matsch" herausgefiltert hat und - endlich versteht.
Aber ich fürchte, das wird die Phalanx der daran Verdienenden nicht zulassen. Denn aus einem Produkt, das um ein Vielfaches teurer ist als Gold, bei dem eine Handvoll (ca. 40gr. für 10 Twins) schon den Gegenwert eines großen Luxus-Mercedes ausmacht, lässt sich noch viel mehr herausholen, wenn man den Kunden in Abhängigkeit hält. Die Fitting-Software ist heute an jedem Windows-PC zu betreiben und so bedienungsfreundlich gestaltet, dass sie von den Herstellern den Akustikern mit dem Argument angeboten wird, die Anpassungen an die Erfordernisse ihrer Kunden innerhalb von 10 Minuten vorzunehmen zu können. Voraussetzung ist dafür natürlich erst einmal eine Grundmessung des Hörvermögens, auf Grund derer das Programm dann automatisch die Hörhilfen programmiert. Aber selbst das könnte der - allerdings schon etwas PC-erfahrene Nutzer mit diesen Programmen selbst vornehmen, denn statt 'ja' zu sagen, wenn er einen Ton zu hören beginnt, könnte er an seinem PC einfach z.B die Spacetaste drücken. Er kann nachsprechen, was er versteht und das Programm kann erkennen, was er falsch nachspricht und erfährt so die Voraussetzungen für die anschließende automatische Programmierung der HG's. Das alles wäre heute schon möglich, wenn .....
Aber, ich höre jetzt mal besser auf, denn ich sehe schon einige von solchen Erleichterungen für die Anwender Betroffene die Fäuste ballen. Aber das musste mal raus. Ich bin sicher, dass sich dazu schon Viele ähnliche Gedanken gemacht haben, Fach- und Sachkundigere möglicherweise, als ich es bin.
Ich hoffe, dass ich hier etwas angestoßen habe und wünsche allen, dass sich in unserem Sinne, die wir auf Hörhilfen angewiesen sind, sowohl in der Anwendung und vor allen Dingen kostenmäßig rasch vieles bessert.
Gerhard
cooper
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Re: Ein ketzerischer Beitrag

#2

Beitrag von cooper »

Hallo Gerhard,
Was mich immer von "Hörverstärkern" abgehalten hat war, dass ich damit vom mehr oder weniger engagierten oder fähigen Hörgeräteakustiker abhängig würde.
Genauso abhängig wie von einem Zahnarzt, einem Chirurgen oder auch von einer Autowerkstatt. Gefällt dir der Akustiker nicht, gehst du zu einem anderen. Klar kannst du bei dem nicht damit rechnen, dass er die Vorarbeit des Vorgängers kostenlos weiter führt, aber das ist bei einer Autowerkstatt ja das selbe -- war die Reparatur nicht erfolgreich und du gehst wo anders hin, wollen die dafür auch Geld haben und bessern nicht kostenlos den "Pfusch" der vorherigen Werksstatt nach.
in die Freiheit der eigenen Feinanpassung zu gelangen, wenn nur genügend Leute entsprechende Forderungen stellten.
Die Masse ist dazu überhaupt nicht in der Lage. Die Masse ist ja nicht mal in der Lage (oder auch zu bequem), den eigenen PC individuell vernünftig zu konfigurieren. Insofern wird es immer die Forderung einiger weniger bleiben. So wie auch nur einige wenige ihr Auto selbst reparieren und nicht gleich in die Werkstatt fahren, und sei es nur für einen simplen Ölwechsel.
So erlaubt man uns nur, aus 5, 6 oder 7 vom Akustiker in unendlichen Sitzungen (...) voreingestellten Profilen auszuwählen, deren Eigenschaften man sich genau merken muß um dann, Signaltöne mitzählend, das richtige Profil einzustellen.
Sorry, aber das ist Quatsch. Einmal gibt es keine Begrenzung auf 6 bis 7 Sitzungen, du kannst da beliebig oft hin gehen, bis die Einstellungen für dich perfekt passen. Zum anderen kannst du die Hörgeräte nahezu beliebig einstellen lassen und nicht nur aus irgend welchen Profilen wählen.

Moderne Hörgeräte schalten automatisch zwischen Profilen für ruhige Umgebung, laute Umgebung, Telefonsituation, Musikhören uvm. um. Zudem hast du meist die Möglichkeit, Zusatzprogramme für besondere Situationen einspielen zu lassen -- und kannst auf einer Fernbedienung im Farb-Display umittelbar ablesen und einstellen, welches Programm die Hörgeräte gerade benutzen. Solche Fernbedienungen gibt es von allen namhaften Herstellern.
Beim heutigen Stand der Microelektronic meine ich, müßte es möglich sein, dem HG-Nutzer nicht nur 5 von 16 bis 20 Kanälen zur Feinanpassung zur Verfügung zu stellen
Ich glaube du verwechselst da was. Du kannst die Kanäle generell nie einstellen. Du kannst nur zwischen verschiedenen, vom Akustiker für dich angepassten und aufgespielten Zusatzprogrammen wählen. Wobei ich schon 5 für absoluten Overkill halte. Ich habe EIN einziges Zusatzprogramm, das ich sehr selten brauche. Vier sind ungenutzt. Was soll ich da mit 20?
Mit der Fernsteuerung oder einer Wippe am Gerät, könnte er feinstufig durch alle, natürlich in sinnvoller Reihenfolge angeordneten Kanäle scrollen, bis er sein zur Situation passendes Nutzsignal über allem "Matsch" herausgefiltert hat
Ich glaube kaum, dass das in der Praxis funktioniert. Noch dazu kann man kaum dem Benutzer erlauben, die Kanäle an seiner Hörgrenze oder darüber zu verstellen -- er würde sein Gehör schädigen, ohne es bemerken zu können. Außerdem habe ich nicht vor, erst mal 5 Minuten mit meiner Fernbedienung zu spielen, wenn ich einen Raum betrete. Dafür habe ich die automatischen Hörprogramme und das eine, für mich speziell konfigurierte Programm, das ich mit der Taste am Hörgerät umschalte statt mit einer Fernbedienung, und das genügt mir völlig.
Die Fitting-Software ist heute an jedem Windows-PC zu betreiben
... und gibt es z.B. bei Phonak auch kostenlos zum Download. Kann sich jeder runterladen.
Er kann nachsprechen, was er versteht und das Programm kann erkennen, was er falsch nachspricht und erfährt so die Voraussetzungen für die anschließende automatische Programmierung der HG's. Das alles wäre heute schon möglich
Ich weiß ja nicht was du für Vorstellungen hast, aber sie sind schlicht utopisch. Anhand dessen, was der Kunde nachspricht, kann die Software keinesfalls irgend welche Rückschlüsse auf die Hörgeräteanpassung ziehen. Allein schon aufgrund von Aussprachefehlern, die behinderungsbedingt sind (und mit einem Hörgerät frühestens nach Jahren verschwinden) und der sehr unterschiedlichen Aussprache der menschen allgemein wird es vielleicht eine künstliche Intelligenz in >50 Jahren hinbekommen, mit der heutigen Technik ist das jedenfalls nicht zu machen.

Wenn du deine Hörgeräte selbst programmieren willst, nimm halt Phonaks, da ist Anpassungsprogramm kostenlos. Musst du nur noch einen Akustiker finden, der dir den iCube zum Anpassen verkauft. Aber das sollte in Zeiten des Internets (und Phonak liefert weltweit) kein all zu großes Problem sein.

Viele Grüße, Mirko
akudi

Re: Ein ketzerischer Beitrag ( oder die eigene Selbstüberschätzung)

#3

Beitrag von akudi »

Hallo,

@Gerhard: Ich bin immer wieder überrascht von der Selbstüberschätzung mancher Menschen.

Die Ausbildung des Hörgeräteakustikers dauert 3 Lehrjahre + 2 Gesellsenjahre + 1Jahr Meisterschule (Vollzeit) und danach jährliche Fortbildung mit Landestagungen und Jahreskongress. Mag sein, das die Bedienung der Anpasssoftware recht einfach aussieht, aber für das verschieben der Regler benötigt man einiges an Wissen, welches die Software nicht bietet bzw. ersetzt. Veränderungen an Frequenzkanälen führen zu akustischen Artefakten, die sich für die Hörgeräteträger auswirken. Diese Zusammenhänge muss man erkennen und umsetzen können. Hier unterscheidet sich sogar die Spreu vom Weizen unter den Akustikern.

Vertrauen Sie also dem Akustiker, wie sie anderen Berufen auch vertrauen.

Gruß Akudi
Edeltraud
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Registriert: 13. Okt 2006, 11:35
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Re: Ein ketzerischer Beitrag

#4

Beitrag von Edeltraud »

hallo gerhard,
als ich deinen artikel gelesen habe, viel mir sofort das alte sprichwort ein "schuster bleib bei deinem leisten".
Ich muss dir sagen wir haben auch einen handwerksbetrieb. mein mann sagt immer, wenn irgendwas kaputt ist und nicht unser gewerk betrifft," kann ich nicht das wird zu den leuten gebracht die es gelernt haben und ahnung von dem haben was sie machen.
ich möchte auch nicht das ein "autoschrauber" ein Sofa fachgerecht beziehen kann."
also in diesem sinne. ich würde immer zu einem akustiker gehen. natürlich muss die chemie auf beiden seiten stimmig sein. ich bin mir aber ziehmlich sicher, dass du einen solchen finden wirst.
und ehrlich...von selbstversuchen die hg's einzustellen würde ich dir dringend abraten und da schliesse ich mich meinen "vorschreibern" an.

lg
Edeltraud mit Nils (10)beidseitige Gehörgangsatresie und Ohrmuscheldysplasie
JND
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Registriert: 1. Jun 2010, 19:38
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Re: Ein ketzerischer Beitrag

#5

Beitrag von JND »

Moin Gerhard,

Ich glaube, du verwechselst etwas: Die Kanäle in einem Hörgerät sind keine Programme. Kanäle zerlegen den Frequenzbereich von Signalen. Wenn ein Hörgerät 20 Kanäle hat, kann es z.B. den Sprachbereich von 150-8000 Hz in 20 einzelne Bereiche zerlegen und in JEDEM Bereich individuell, je nach Hörverlust, die Verstärkung regeln, die Richtung, aus der Nutzschall kommt, kann angepasst werden in jedem Bereich. Hintergrund der Zerlegung der Sprache in Bereiche (manchmal anstatt Kanäle auch Bänder genannt) ist die Funktionsweise des menschlichen Gehörs, die ebenfalls in solchen "Bereichen" einkommenden Schall analysiert.

Programme wiederum erlauben eine gezielte Änderung von allen Einstellungsmöglichkeiten gleichzeitig und eine Speicherung dieser Einstellungen für einen späteren Gebrauch. Also ein Programm enthält Einstellungen in allen Kanälen, um Störgeräusche rauszufiltern (Die Tiefen Töne werden gedämpft in den entsprechenden Kanälen, das Mikrofon stellt sich anders ein (es verstärkt z.B. keine Töne mehr von hinten)), oder um Sprache in Ruhe zu hören (Wieder andere Einstellung in den Kanälen).

Dennoch wünsche auch ich mir, dass es irgendwann leichter wird, das Hörgerät noch individueller anzupassen, gerne auch mit Schiebern, die man selbst gefahrlos verändern kann :)
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