Die Brücke

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Häwelmann
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Die Brücke

#1

Beitrag von Häwelmann »

Hallo alle zusammen,
Lars ist gehörlos, wir anderen drei sind hörend. Also, was haben wir gemacht?
Wir haben eine Brücke zwischen diese beiden Welten geschlagen.
Jetzt stehen wir zusammen oben auf der Brücke und überlegen, welche der beiden Welten wir zuerst gemeinsam erforschen wollen. Doch zu unserem entsetzen merken wir, daß beide Lager ihre Zugänge mit Waffengewalt verteidigen! Die einen sagen, wir sind die Welt der Hörenden, mit Gebärdensprache kommst du bei uns nicht rein und die anderen sagen, wir sind die Welt der Gehörlosen, mit einem CI-Implantat kommst du bei uns nicht rein.
Deshalb bauen wir uns auf unserer Brücke ein neues Haus für beide Welten, in der jeder Weltenbürger herzlich willkommen ist, aber ohne Waffen.

Schönes Wochenende
Christa

P.S.:Unser Haus platzt jetzt schon vor lauter lieben Gästen aus allen Nähten!
Andrea Heiker
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Re: Die Brücke

#2

Beitrag von Andrea Heiker »

Liebe Christa,

ich habe aber den Eindruck, dass die Gräben zwischen DGS-Gehörlosen und CI-Sympatisanten ganz langsam verflachen. Es gibt viele selbst gehörlose Eltern, die ihr Kind implantieren lassen und umgekehrt kenne ich keinen CI-Träger, der die Gebärdensprache prinzipiell ablehnt. (Viele verwenden sie zwar selbst nicht, haben aber auch nichts dagegen, wenn andere sie verwenden möchten.) Der Rat KEINE GEBÄRDEN kommt in 99,9% von hörenden Ärzten oder Pädagogen, und nicht von selbst hörgeschädigten CI-Trägern.

Gruß
Andrea
seit Geburt an Taubheit grenzend schwerhörig, im Alter von zwei Jahren mit zwei Hörgeräten versorgt, seit 2002 ein CI
Häwelmann
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Re: Die Brücke

#3

Beitrag von Häwelmann »

Hallo Andrea,

Ich stimme dir voll und ganz zu. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, daß wir als Familie automatisch beiden Welten angehören und diese auch nach außen hin erreichen möchten.
Ich zähle dich übrigens zu einem der "lieben Gäste, die unser Haus besuchen".

Liebe Grüße
Christa

Momo
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Re: Die Brücke

#4

Beitrag von Momo »

Liebe Christa
du beschreibst das wirklich gut. Es gibt aber noch viel mehr Welten....
Als mein Sohn damals diagnostiziert wurde, hatte ich das gefühl er gehört in keine der beiden Welten (Gehörlose und Hörende): er war (zunächst angenommen) "nur" EINSEITIG taub und daher eben für die SH und Gehörlosen Welt ein leichter Fall und den Hörenden zugeordnet, ABER hatte gleichzeitig Einschränkungen, die ihn in der hörenden Welt ausgrenzten.
Mittlerweile haben wir uns einen Weg gesucht in beiden Welten Gast zu sein, allerdings dazugehören tut er so ganz in keine der beiden... Aber dadurch dass nun klar ist, dass doch auch die andere Seite dazu sh ist, habe ich für ihn wenigstens das Gefühl er hat einen Platz ind der SH Gemeinschaft..
Aber bei all diesen Gedanken stell ich immer wieder fest, dass mein Sohn das (zumindest noch) nicht so empfindet und wahrscheinlich nur ich als (Über) Mutter mir Gedanken darüber mache????

LG
Momo
Wiebke und Sohn (fast 21 Jahre) mit 1 HG und 1 CI
Häwelmann
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Re: Die Brücke

#5

Beitrag von Häwelmann »

Hallo Momo,
als wir das Ergebnis der Bera erfahren haben und dann zu Hause waren, haben wie Lars betrachtet und uns gefragt, was ist der Unterschied zu gestern.
Michael und ich sind zu dem Ergebnis gekommen, es gibt keinen Unterschied. Lars ist exakt das selbe Kind wie vor der Diagnose und er wäre nicht der Lars den wir kennen und lieben, wenn er nicht taub wäre. Diese Antwort gebe ich auch immer wieder meinem Umfeld und sie sehen es "fast" alle genauso und gehen dementsprechend normal mit ihm um.
Deswegen sage ich auch immer, ich sehe erst das Kind und dann die Behinderung/Beeinträchtigung.

Liebe Grüße
Christa
Sandra

Re: Die Brücke

#6

Beitrag von Sandra »

Hallo Christa,

eine Brücke zwischen GL und Hörende zu bauen finde ich sehr gut. Es kommt auf das Umfeld mit wem man überwiegend zusammen ist - inwiefern der-/diejenige welche Kommunikationsmittel nutzt! Bisher war es nicht sooo einfach aufeinander zuzugehen - mit der Zeit wird sich das - denke ich genauso wie Andrea - ändern. Da in heutige Zeit sogar GL Eltern Ihr Kind implantieren lassen!

Ich selbst bin von Geburt an Taubheit grenzend schwerhörig. Wurde Lautsprachlich aufgewachsen - habe allerdings während meiner Schulzeit auf dem Pausenhof die Gebärden nach und nach angeeignet. Die Gebärden nutze ich jedoch NUR unter Hörgeschädigte, da mein Hörende umfeld - sei es in Privaten- bzw. in Beruflichenkreis keiner Gebärden kann. Ich hörte damals mit Hörgeräte trotz sehr schlechte Audiogrammwerte dementsprechend "gut" - war aber meist auf Mundabsehen angewiesen! Seit gute 5 Jahren habe ich ein CI.

Desweitere sollte man bedenken, dass bis vor ca. 5-8 Jahren das Internet noch nicht so verbreitet war bzw. nicht gab - hatten die Hörende Eltern hörgeschädigte Kind keine möglichkeiten sich umfassend zu informieren wie es heutzutage möglich ist!

Ich wünsche Euch alles Gute für die Entscheidung...........
Gruss Sandra
Tine J.
Beiträge: 32
Registriert: 3. Dez 2004, 19:59
20

Re: Die Brücke

#7

Beitrag von Tine J. »

Hallo Christa,

ich habe bis jetzt im Forum still mitgelesen, aber mir war es danach, dir zu schreiben !

Wir, das sind mein Mann, Christopher ( fast 16), Anna (fast 14 ) und ich sind alle von Geburt an hörgeschädigt. Die männlichen Familienmitglieder sind gehörlos und idendifizieren sich mehr mit den Gehörlosen, Anna und ich tragen beide ein CI und wir alle reden entweder so, wie uns der Schnabel gewachsen ist oder wir gebärden.
Wir haben unsere Kinder sowohl laut-als auch gebärdensprachlich erzogen.

Viele Grüße Tine
Tine -von Geburt an hörgeschädigt-seit 02/05 links CI
Häwelmann
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Wohnort: Walzbachtal

Re: Die Brücke

#8

Beitrag von Häwelmann »

Hallo,
vielen Dank für eure Antworten.
Wir haben heute morgen mit Freunden zusammen gefrühstückt. Und irgendwann entstand die Situation, daß Lars etwas wollte, Michel unser Freund aber so gar nicht wusste "was".
Daraufhin hat er Lars angeschaut und meinte im tiefsten schwäbisch:" Mein Gott Bua,sag doch, was willst du denn ?!?". Lars ist in seinem Sitz hoch und hat als Antwort auf die Lyoner gedeutet. Michel gab ihm natürlich die Wurst und meinte noch zu ihm, wir zwei können halt miteinander reden.
Tine, wir machen es genauso wie ihr, wir reden wie uns der Schnabel gewachsen ist und unsere Freunde und Verwandten Gott sei Dank auch.
Diese befreundete Familie von heute morgen, will übrigens mit uns die Gebärdensprache lernen, wenn wir uns dazu entscheiden würden.

Liebe Grüße
Christa
Tine J.
Beiträge: 32
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Re: Die Brücke

#9

Beitrag von Tine J. »

Liebe Christa,

das finde ich aber ganz toll von euren Freunden ! Solltet ihr euch für ein CI für Lars entscheiden, würde ich trotzdem auch gebärden, ich kann persönlich nur sagen, dass die Gebärdensprache eine Bereicherung ist. Ihr würdet dann im Laufe der Zeit sehen, was Lars nun wirklich braucht. Ich weiß, nicht alle teilen mit mir meine Meinung,für mich ist totale Kommunikation und gute Förderung gleichzeitig wichtig ! Hätte ich nochmal ein kleines Kind, ich glaube, ich hätte es früh implantieren lassen ( meine Tochter hat es auf ihren eigenen Wunsch gemacht )und Gebärden benutzt.
Ich lese deine Beiträge gern und ich spüre, und wünsche dir weiterhin alles ,alles Gute !

Liebe Grüße Tine
Tine -von Geburt an hörgeschädigt-seit 02/05 links CI
Sandra

Re: Die Brücke

#10

Beitrag von Sandra »

Liebe Christa,

auch ich finde gut, dass Deine Freunde ebenso mit Dir Gebärdensprache lernen würden. Auch ich kann da Tine zustimmen, dass Ihr ruhig trotz CI (falls Ihr dazu entscheiden sollten) weiterhin die Gebärdensprachen nutzen sollte/könnt. Es wird Situationen geben wo Lars dann OHNE CI weiterhin kommunizieren sollte/möchte z.B. im Schwimmbad, im Bad, wenn man beim Aufstehen das CI/HG nicht sofort aufsetzt...
Auch wenns ggf. nur vereinzelte Wörter gebärdet wird, es kann nützlich sein um Fremdwörter, unbekannte Wörter o.ä. schneller und als Erleichterung verstehen zu können. Schliesslich kann man nicht alles vom Mund ablesen, dazu gehört gute Kombinationsfähigkeit, die man als Frühschwerhörige ohnehin unbewusst selbst aneignet.

Wünsche Dir weiterhin alles Gute
Sandra

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