Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

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Musiker_72
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Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#1

Beitrag von Musiker_72 »

Hallo,

wie man meinem Vorstellungsfaden in diesem Forum entnehmen kann, kam ich ja durch die Hyperakusis zum Hörgerät. Ich habe mich also schon sehr frühzeitig gefragt, wie mir das Hörgerät bei diesem Problem helfen kann. Im Internet findet man auch ein paar Fäden dazu, auch z.B. den Vorschlag, eine negative Verstärkung beim Hörgerät einzustellen.

Mit der heute üblichen offenen Versorgung bei geringem Hörverlust ist so etwas wie eine negative Verstärkung aber nicht möglich. Der Dämpfungsfaktor von offenen Schirmen (der von sehr offenen Otoplastiken, also solchen mit großen oder mehreren Lüftungsbohrungen, dürfte ähnlich sein) ist praktisch nicht vorhanden. Experimente mit abgeschaltetem Hörgerät lassen mich eine Dämpfung von weniger als 5dB schätzen, nachgemessen habe ich es aber nicht (ich wüsste auch nicht wie, wenn nicht durch eine aufwändige in-Situ-Messung beim Akustiker).

Alles, was man bei einer offenen Versorgung also tun kann, ist, die HGs so einzustellen, dass sie laute Geräusche nicht noch lauter machen. Leiser können sie aber nicht werden.

Im Internet finden sich aber Berichte von HG-Trägern mit geschlossener Otoplastik, die sich gut vor Lärm geschützt fühlen (subjektiv). Es gibt sogar ein Hörgerät, das als Lärmschutz zugelassen ist: http://hoerluchs.com/gehoerschutz/Pulsa ... oergeraete

Prinzipiell ist also die Kombination Lärmschutz und Hörgerät möglich. Auch diese Ohrstöpsel: http://www.etymotic.com/consumer/hearin ... mp915.html arbeiten im Prinzip mit Hörgerätetechnologie.

Mir wurde hier ja vermehrt zu In-Ear-Monitoring geraten. Sinnvoll ist das aber nur in einem mindestens semiprofessionelen Umfeld bei ausschließlich verstärkter Musik. Für akustische Musik müsste man diese ja erst mit einem Mikrofon abnehmen, um sie dann über das In-Ear System wiedergeben zu können. Da ein Hörgerät aber im Prinzip nichts anderes tut (mit Mikrofonen aufnehmen, über Lautsprecher - wenngleich sehr klein - wiedergeben) und zudem sehr praktisch klein ist, wollte ich genauer wissen, ob man das HG nicht auch zum Lärmschutz umfuntkionieren kann. Klar ist aber auch, dass ein zusätzliches (zweites) Hörgerät für diesen Zweck zu teuer ist.

-----Ende Teil 1 ---
Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#2

Beitrag von Musiker_72 »

Für alle RIC-Modelle gibt es ja die so genannten "Power-Domes", Schirme mit mindestens doppelter Lamelle. Da Power-Domes sehr ähnlich aussehen wie Ohrstöpsel, liegt die Vermutung nahe, dass diese einen hohen Dämpfungsfaktor besitzen.

Ich habe mir also solche Power-Domes für mein Hörgerät geben lassen und mal getestet, ob damit laute Musik leiser wird.

Und tatsächlich: Ein erster Test mit der heimischen Stereoanlage (die ich früher auch als PA-eingesetzt habe, Pegel > 90 dB sind damit problemlos möglich) ergab, dass Musik, die mir ohne Hörschutz eigentlich zu laut wäre, mit diesen Stöpseln angenehm ist.

Dann wollte ich es genauer wissen und bat meinen Akustiker darum, den Dämpfungsfaktor dieser Stöpsel zu messen. Es wurde also eine Freifeldmessung durchgeführt, zuerst ohne HG, dann mit abgeschaltetem HG und Power-Domes. Das Ergebnis war überraschend gut: der Dämpfungsfaktor lag bei 20 dB für tiefe Frequenzen und wurde immer höher hin zu den hohen Frequenzen, ab 1 kHz lag er bei 30dB und darüber. Das ist ein typischer Wert für Lärmschutzstöpsel.

Während für erste Experimente der Klang ok war, braucht man für die ernsthafte Anwendung aber ein extra auf die anderen Schirme abgestimmtes Programm. Man muss also seinen Akustiker bitten, folgendes zu tun:
- ggf. einen Programmplatz freimachen
- das HG umstellen auf Power-Schirme
- ein neues Programm berechnen lassen
- dieses von der Lautstärke her so begrenzen, dass es als Hörschutz fungiert.

Beim letzten Punkt sind Kompromisse erforderlich: Wenn man einfach für alle Eingangspegel die Lautstärke herunterfährt, dann klingt es für laute Musik am Besten. Dann versteht man in diesem Programm aber keine Sprache mehr. Arbeitet man hingegen mit starker Kompression (also z.B. Verstärkung bei 50dB: 20 dB, bei 65 dB: 5 dB, bei 80 dB: -10 dB), kann man zwar mit einem einzigen Programm Sprache verstehen und laute Musik hören, aber der Klang ist dann extrem komprimiert. So arbeitet z.B. der oben von mir verlinkte Stöpsel von Etymotic.

Den besten Klang erzielt man, wenn man die Lautstärkeregelung am HG verwendet: einfach so weit runterregeln, dass die Lautstärke angenehm ist, dann bei Sprache wieder hochdrehen. Die MPO sollte abe rtrotzdem soweit begrenzt sein, dass plötzliche Geräusche das Ohr nicht schädigen können.

Erste Tests mit lauter Musik verliefen sehr vielversprechend. Der Klang ist sehr viel besser als mit den ebenfalls von mir getesteten Stöpseln von Etymotic. Die zusätzlichen Kosten, wenn man sowieso ein HG hat, belaufen sich auf weniger als 2 € für die Power-Schirme (wenn man sie nicht, so wie ich, sowieso vom Akustiker geschenkt bekommt). Man kann die Schirme in ca. 1 Minute wechseln.

Wenn man dann sehr leise dreht, wird der Bass, bei dem die Dämpfung der Schirme ja schlechter ist, dominant, ferner wird der Bass ja auch über Körperschall übertragen, das lässt sich nicht dämpfen.
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#3

Beitrag von Musiker_72 »

Natürlich bleiben die grundsätzlichen Nachteile geschlossener Versorgung: Die eigene Stimme klingt komisch, man hat starke Okklusion, der Körperschall tritt extrem hervor. Ich höre z.B. stark meinen eigenen Puls.

Für Orchestermusiker zum Beispiel dürfte ein solcher Schallschutz eher ungeeignet sein. Wenn man z.B. Violine spielt, überträgt sich der Klang über das Schlüsselbein stark über Knochenleitung, ebenso bei bestimmten Blasinstrumenten über Zähne und Kiefer. Trägt man dann einen solchen Hörschutz, dann gerät die Klangbalance total aus den Fugen.

Für eher passiven Konsum von lauter Musik oder für das Musizieren mit Instrumenten, die nicht am Körper anliegen (Klavier etwa, oder E-Gitarre) ist das aber eine super Lösung, wenn man HG-Träger ist und In-Ear-Monitoring aus welchen Gründen auch immer nicht praktikabel ist.

Etwas experimentierfreudig sollte man aber sein ...
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#4

Beitrag von Musiker_72 »

Update:

Ich war gestern bei einem Rockkonzert und habe das nochmal getestet.

Das Ergebnis war enttäuschend: Sobald Bass und Schlagzeug eingesetzt haben, hat es verzerrt. Es war aber keine "harte" Verzerrung (kein Clipping also), eher ein Kompressionsartefakt. Dennoch klang es wirklich schlecht.

Ich habe dann statt des HG meine Elacin Lärmschutzstöpsel eingesetzt (das sind sehr hochwertige Stöpsel mit einem nahezu linearen Frequenzgang), das klang sehr viel besser.

Heute habe ich dann mit der heimischen Stereoanlage nochmal nachgetestet. Offenbar hatte ich diese bei meinen letzten Versuchen nicht laut genug gedreht: Man muss den Bass wirklich spüren, um eine Lautstärke zu haben, die mit einem Rockkonzert vergleichbar ist (man dreht da aus Zurückhaltung zu Hause normalerweise nicht laut genug, und der Durchschnittsbürger hat natürlich auch keine Anlage, die ohne Verzerrungen so laut spielen kann).
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#5

Beitrag von Musiker_72 »

Ich habe zunächst den Verzerrungs-Effekt reproduzieren können: Ab einer gewissen Lautstärke klingt jeder Trommelschlag wie "Matsch".
Das zugehörige Programm sieht so aus:

(Anhang betrachten)
Dateianhänge
schallschutz1.jpg
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#6

Beitrag von Musiker_72 »

Obwohl man an den Verstärkungswerten (negative Zahlen!) schön sehen kann, dass es sich um ein Schallschutzprogramm handelt, sieht man andererseits auch, dass man bei 80 dB Eingang schon in die Nähe der MPO kommt.

Wenn man nun 100 dB Eingang hat - kein ungewöhnlicher Wert für ein Rockkonzert - dann gerät das HG in eine starke Kompression, es "matscht".
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#7

Beitrag von Musiker_72 »

Ich habe daher ein zweites Schallschutzprogramm erstellt, das noch stärker absenkt (man sieht, dass die Kurve für 80 dB Eingang - das ist die oberste - nicht über 70 dB hinauskommt).

Man hat hier noch 20 dB "luft" bis man zur MPO gelangt.
Dateianhänge
schallschutz2.jpg
Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#8

Beitrag von Musiker_72 »

Und siehe da: Dieses Programm verzerrt nicht so deutlich wie das erste SChallschutzprogramm.

ABER: Es klingt insgesamt deutlich schlechter als wenn ich einfach Ohrstöpsel einsetze.

Hintergrund dieses Tests war, dass ich für meine musikpädagogische Arbeit abwechselnd zu lauter Musik auch noch leise Sprache verstehen muss. Das ist mit Ohrstöpseln schlecht, als Schwerhöriger versteht man mit Stöpsel drin natürlich gar nichts mehr.

Man muss hier also gründlich abwägen, was man will. In manchen Situationen sind Ohrstöpsel jedenfalls besser als speziell eingestellte Hörgeräte.

Übrigens: Am Volumenregler einfach runterdrehen ist nicht die Lösung, denn bei digitalen Hörgeräten sitzt die Volumenregelung ganz am Ende der Signalkette. WEnn man also vorher "Matsch" durch starke Kompression in der Nähe der MPO bekommt, dann geht dieser Matsch auch nicht dadurch weg, dass man leiser dreht.

Mir ist klar, dass dieser Exkurs für die Allermeisten hier nutzlos ist, aber vielleicht kann es ja auch für irgendjemanden mal interessant oder sogar hilfreich sein, daher habe ich es aufgeschrieben!
Tinu76
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#9

Beitrag von Tinu76 »

Hallo Musiker_72

Gehe am Wochenende auch an ein Rockkonzert und wollte das ebenfalls mit den doppelten Lamellen testen... nun bin ich doch verhaltener optimistisch. Nehme sicher noch ein richtiger Gehörschutz mit.

Merci für das Teilen deiner Erfahrungen, die ich immer sehr wertvoll finde.

Lieber Gruss
Tinu
Ab 2014 Hochtonschwerhörig - Versorgung mit Widex Dream 330 Passion und/oder Bernafon Juna 9 Pico RITE
ab 2017 Versorgung mit Bernafon Zerena miniRITE 9
ab 2021 Versorgung mit Bernafon Alpha
Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#10

Beitrag von Musiker_72 »

Hi,

vielleicht geht es mit den Widex ja auch besser - aber mit zusätzlichem Gehörschutz bist Du auf der sicheren Seite!

Ich war vor ein paar Wochen auf einem Sinfoniekonzert (Klassik), da war das mit dem Hörgerät überhaupt kein Thema, klang super (einfach mit offenen Schirmen, das war nicht zu laut).
monif

Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#11

Beitrag von monif »

Hallo Musiker_72
Ich geniesse auch gerne mal so Klassikkonzerte. Allerdings habe ich geschlossene Otosplastiken. Neu möchte ich im Speziellen , das ich die Lautstärke selber regeln kann und nicht so Programmplatz habe, die einfach nur für bestimmte Situationen bestimmt sind.
Hab mit analogen viel besser gehört. Nun die Abfindung mit mehr Technik und so kompliziert, und viel Handwerk alles bedienen zu müssen.:-)))
Wie hast du das gelöst? Denn mit Gehörschutz wie funktioniert das, wird das einfach bisschen gedämpft oder wie muss man sich das vorstellen?
Glg Moni
Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#12

Beitrag von Musiker_72 »

Hi,

entscheidend für die Gehörschutzwirkung ist zunächst mal die geschlossene Otoplastik bzw. der Power-Dome. Eine Audiologin von einer Uniklinik sagte mir, sie habe mal so eine Otoplastik in-situ durchgemessen, der Dämpfungsfaktor betrug über 30 dB.

Sobald das Ohr verschlossen ist, hat erst mal jedes richtig eingestellte Hörgerät eine gewissen Schutzwirkung: Das HG gibt ja keinen Schallpegel oberhalb der MPO ab. Wenn Deine MPO bei 95 dB liegt, dann kommen von 115 dB Außenschalldruck eben nur 95 bei Dir am Ohr an.

Die nächste Frage ist eben, wie es klingt. Ob man da mehrere Programme braucht hängt stark davon ab, wie das Hörgerät die WDRC (Wide Dynamic Range Compression) implementiert.

Jetzt kommt es technisch ziemlich dicke ...

Manche Hörgeräte regeln wohl bei hohem Schallpegel insgesamt runter. Das ist eine träge Regelung, wenn man von sehr lauter Umgebung in eine leise Umgebung kommt, hört man erst mal ein paar Sekunden lang nichts, weil erst dann das Hörgerät wieder hochregelt.

So weit ich weiß hat mein Hörgerät eine solche träge Regelung nicht. Hier gibt es nur die drei Verstärkungskurven: für leise, mittlere und laute Pegel.

Wenn Du jetzt einfach ein Standardprogramm nimmst, das sagen wir mal bei 50 dB 20 dB verstärkt, bei 65 dB noch 15 dB und bei 80 dB noch 10, dann hast Du einen Kompressionsfaktor von etwa 2 (ich weiß leider nicht genau, wie man den Kompressionsfaktor ausrechnet, deswegen nur geschätzt).

Das ist eine mittelstarke Kompression. Bei 90 dB kann das HG nur noch 5 dB verstärken (MPO war ja bei 95 dB), bei 95 dB dann 0 dB Verstärkung, bei 100 dB dann -5 dB Verstärkung. Ab 95 dB Eingang liegt der Kompressionsfaktor also bei unendlich. Das klingt sehr schlecht.

Wenn Du jetzt aber insgesamt die Verstärkung um 10 dB runterstellst, dann hast Du nach oben hin 10 dB mehr Platz, bis das Hörgerät in die unendlich starke Kompression geht. Das wäre dann erst bei 105 dB.

Ein digitales Hörgerät mit Lautstärkeregler hat jetzt folgenden Nachteil (da habe ich extra mal jemanden gefragt, der in der Branche arbeitet): Der Lautstärkeregler sitzt ganz am Ende der Signalkette. Wenn Du also erst mal unendlich große Kompression hast, dann kannst Du den matschigen Klang nur noch leiser stellen, bekommst aber den Matsch nicht mehr weg.

Bei einem analogen Hörgerät ist das evtl. anders. Viele analoge Hörgeräte haben wohl ohnehin linear verstärkt und sind dann irgendwan ins Clipping geraten. Wenn man die leiser stellt, dann clippt es eben erst bei höhren Eingangspegeln, am Klang ändert sich aber an sich nichts.

Also, sehr langer Rede kurzer Sinn: Wenn Du einen Lautstärkeregler am Hörgerät hast und der Klang gut ist, dann kannst Du einfach leiser stellen.

Wenn der Klang nicht gut ist ... dann gibt es sehr sehr viele Möglichkeiten, woran das liegen kann. Eine davon wäre eben eine hohe Verstärkung, die zu schnell in eine starke Kompression gerät in der Nähe der MPO. Da braucht man dann ein extra Programm mit einer geringeren Verstärkung.
monif

Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#13

Beitrag von monif »

Hallo Musiker_72,
danke für die hilfreiche Erklärung. Ich kann damit gut anfangen..Zitiere: Jetzt kommt es technisch zimlich dicke...
Hab ich vermutet:-)
Es gibt so Programmplätze, die ein Aku als Gut empfindet. Mein Problem war das mit Ski fahren .Ein Helm und Hgs noch unter dem Helm und er hat mir das Programm " Fernsehen " eingestellt und Windgeräusche werden da rausgefiltert. Und wenn ich am Skilift stehe und das Programm habe, verstehe ich nix..was die Leute mir da noch sprechen..( ist das Gehörschutz, die halt seinen Preis hat).und mit Standardprogramm unter Helm ist kein Sprachverstehen möglich..Hast du da irgendwie eine Lösung..müsste es unter Helm nicht noch ein Programmplatz und noch lauter eingestellt werden?
Geht das wieder unter Klangverfeinerung oder so?
Noch vielen Dank für den ausführlichen Beitrag!
Glg Moni
fast-foot
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#14

Beitrag von fast-foot »

Hier noch der eine oder andere Gedanke zu gewissen Aussagen:
Musiker_72 hat geschrieben:Sobald das Ohr verschlossen ist, hat erst mal jedes richtig eingestellte Hörgerät eine gewissen Schutzwirkung: Das HG gibt ja keinen Schallpegel oberhalb der MPO ab. Wenn Deine MPO bei 95 dB liegt, dann kommen von 115 dB Aussenschalldruck eben nur 95 bei Dir am Ohr an.
Nun ja, eine gewisse Schutzwirkung kann zwar in gewissen Situationen auftreten. Die Aussage, dass ein Hörgerät das Gehör generell schütze, ist allerdings eine absurde Aussage (welche Du nicht gemacht hast, aber (zumindest vor ein zwei Jahren immer noch) gewisse Hörgerätehersteller oder Akustiker).
Der Grund ist, dass bis zur Unbehaglichkeitsschwelle verstärkt wird. Liegt diese über ca. 80 dB (was meistens der Fall ist), kann es bereits problematisch werden (bei einem Vergleich mit der Belastung ohne Hörgerät ist auch zu Beachten, dass die KOmpression "die Pegel oben an der ucl kleben lässt").
Ausserdem kann je nach Otoplastik durch den Okklusionseffekt eine zusätzliche Verstärkung von bis zu 30 dB auftreten, was dann (wegen der Verstärkung) selbst bei einer tiefen Begrenzung bereits Pegel zur Folge haben kann, welche "jenseits liegen".
Musiker_72 hat geschrieben:So weit ich weiss hat mein Hörgerät eine solche träge Regelung nicht. Hier gibt es nur die drei Verstärkungskurven: für leise, mittlere und laute Pegel.
Schade. Sinnvollerweise würde diese die Intensität des Signals vor der Verarbeitung herunter regeln (nehmen wir zur Verdeutlichung an, dass sich die Intensität des akustischen Inputs zwischen 120 und 150 dB bewege und die ucls bei 110 dB liegen: dann "klebt der Pegel des Ausgangssignal bei 110 dB" - was durch eine geeignete Herunterregelung des Eingangssignals (so dass dessen Pegel sich dann bspw. zwischen 50 dB und 80 dB bewegen) vermieden werden könnte).
Musiker_72 hat geschrieben:Wenn Du jetzt einfach ein Standardprogramm nimmst, das sagen wir mal bei 50 dB 20 dB verstärkt, bei 65 dB noch 15 dB und bei 80 dB noch 10, dann hast Du einen Kompressionsfaktor von etwa 2 (ich weiß leider nicht genau, wie man den Kompressionsfaktor ausrechnet, deswegen nur geschätzt).


Das Kompressionsverhältnis betägt dann 3:2 (Differenz der Eingangspegel geteilt durch die Differenz der Verstärkungen, siehe bspw. hier, auf s. 14 (die Grösse "CR" beachten):

http://www.verband-hoerakustik.ch/filea ... Normen.pdf

Gruss fast-foot
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Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#15

Beitrag von Musiker_72 »

Danke für den Hinweis zum Kompressionsfaktor - ich hatte mir schon gedacht, dass es eine einfache Formel sein müsste, aber erst mal nichts konkretes dazu gefunden.

Das mit der vorgeschalteten langsamen Regelung hat Vor- und Nachteile: Der Vorteil wurde von Dir klar benannt, die aktuelle akustische Situation würde ohne starke Kompression in einen für die Ohren verträglichen Bereich abgebildet. Der Nachteil ist eben die Trägheit des Systems: Wenn man von einer lauten in eine leise Umgebung kommt, dann hört man erst mal nichts. Probleme dieser Art wurden hier im Forum auch schon des öfteren beschrieben. Ferner erschwert ein mehr oder weniger eigenständiges Anpassen des Hörgerätes die Gewöhnung beim Nutzer: Wenn sich das HG immer gleich verhält (also bei einer bestimmten Eingangslautstärke eine definierte Ausgangslautstärke gibt), dann kann sich durch Gewöhnung so etwas wie ein normales Lautstärkeempfinden wieder einstellen.

Klar ist, dass eine Lautstärke, die permanent im Bereich der MPO liegt, auch nicht gesund sein kann.

Für technikaffine Menschen, die verstehen, was sie tun, fände ich da eine tiefergehende Steuerung des HG übers´s Smartphone gut: Wenn man nicht nur die Ausgangslautstärke, sondern auch die Eingangsempfindlichkeit regeln könnte, dann wäre das Problem schon gelöst. Für Menschen, die das nicht wollen oder können, braucht man dann eben zusätzlich die angesprochene träge Regelung der Eingangsempfindlichkeit.

Übrigens, um mal mein Hörgerät in Schutz zu nehmen: Das hat durchaus eine Automatikfunktion, die in Lärmsituationen die Lautstärke und den Kompressionsfaktor ändert. Da ich aber gerne selbst die Kontrolle über das Verhalten meines HG habe, habe ich das abgeschaltet.

Letztlich komme ich immer wieder an folgenden Punkt: Man kann mit Hörgeräten leise Geräusche so verstärken, dass man sie als Schwerhöriger wieder hören kann. Viel schwieriger - teilweise unmöglich - ist das Wiederherstellen der verlorengegangenen Dynamik. Um die Dynamik des gesunden Ohres zu haben, brauche ich Hilfsmittel - vom Hörgerät bis zum Ohrstöpsel. Das ist nicht schön, aber immerhin gibt es die Hilfsmittel.
Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#16

Beitrag von Musiker_72 »

Hi Moni,

gibt es nicht Helme mit einer Sprachübertragung? Also Mikrofone draußen, Lautsprecher drinnen?

HG kann man unter einem Helm nicht beliebig laut stellen, danngibt´s Rückkopplungen. Ein externes Mikro mit drahtloser Übertragung zum HG würde das Problem natürlich auch lösen, wenn es sowas für Dein HG gibt.
monif

Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#17

Beitrag von monif »

Hallo Musiker_72
Ich weiss es nicht, es geht mit Widex nicht. Kannst du mir ein Hg empfehlen, dies das bietet?
Denke was du geschrieben hast, mit Smartphone sollte das Hg kuppeln, wär auch meine Idee. Die neuen Hörgeräte werden was mit Smartphone sein..Eventuell so Starkey oder ReSound...Es ist einfach so, dass mich das stört, da ich mit meinem Sohn Ski fahre und er so fadengrade fährt..und ich ihm nachkomme und beim Anstehen ihn nicht verstehe ...das möchte ich ändern...Ich weiss , dass ich schwer höre und auch nicht alles verstehen kann..aber wenn mir was erleichtern könnte, da wär ich doch zufrieden...g Ja , Hg sind Hilfsmittel, bin auch auch dankbar dafür! Kannst du mir, Musiker da etwas hilfreich sein, welche Hg diese Funktion haben?
Viele liebe Grüsse, Moni
ollli
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#18

Beitrag von ollli »

Ich habe gerade vor ein paar Tagen mit der Schneefräse ums Haus Schnee geräumt mit dem Verso9 im Ohr. War angenehm, leiser und weniger stressig.
Als leicht, mittelgradig Hörbeeinträchtigter werde ich laute Konzerte meiden wie der Teufel das Weihwasser.
Vererbte Hörbeeinträchtigung (Wannenkurve) laut HNO, diagnostiziert mit 36 Jahren, nach 9 Jahren (mit 44 Jahren) erste Hörgeräteversorgung mit Resound Verso 9 IIC
Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#19

Beitrag von Musiker_72 »

Hallo,

ein kleines Update zum Thema.

Ich habe jetzt das Schallschutzprogramm so eingestellt, dass die Verstärkung selbst bei allen Eingangslautstärken gleich ist und im stark negativen bereich. Dadurch hat man null Kompression, daher keine Kompressionsartefakte. Weil man durch die negative Verstärkung selbst bei höchsten Eingangspegeln weit weg ist von der MPO am Ausgang, "matscht" es nicht.

Das konnte ich gestern auf einer Party testen. Was ich aber noch viel besser fand: Auf dem Flur war es immer noch sehr laut. Dort habe ich dann das normale Programm (mit Sprache im Lärm Unterprogramm) ausprobiert, und: Ich konnte mich unterhalten, ohne dass die Gesamtlautstärke zu hoch war! Das HG leistete Schwerarbeit, denn die Musik im Hintergrund war kaum noch zu erkennen. Durch die starke Kompression wurde der Musik fast vollständig die Dynamik genommen. Bei der Sprache wurde diese aber trotzdem so weit erhalten, dass ich mich unterhalten konnte.

Für einen reinen Konzertbesuch klingen gute Ohrstöpsel wahrscheinlich trotzdem besser. Für eine Mischveranstaltung (Sprache und laute Musik) ist man mit solchen Schallschutz-Hörgeräten aber viel flexibler.

Mir ist klar, dass das alles für den Normalnutzer wahrscheinlich völlig irrelevant ist, aber vielleicht interessiert es ja den ein oder anderen hier mit lesenden Akustiker.
EinOhrHase
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#20

Beitrag von EinOhrHase »

Salut,

zum Thema "Ge-Hörtschutz" mit HGs hätte ich ebenso ein paar Gedanken, ohne ins technische zu gehen.

Trug früher ebenso HdO Gerät und kann für (das damalige) Gerät nur sagen: Mehr wie die Lautstärke runterdrehen war nicht drinn, da keine Programme verfügbar waren.

Zwischenzeitlich, mit dem BAHA hab ich eher die Möglichkeit, versch. Frequenzen einstellen zu lassen, wo zB für mein Arbeitsfeld (oder auch Party) die Einstellung recht gut ausfiel.
Sämtliche Frequenzen wurden in der Verstärkung runtergedreht und auch die Einstellbarkeit der Lautstärke (mit dem Regler) wurde runtergesetzt.
Die Mikros wurden als "Richtmikrofon nach vorne" eingestellt und ich kann also per Regler den "Hörschutz" entsprechend einstellen, wann eine Geräuschminderung bzw Verstärkung (Gespräch ua) erforderlich ist. Und sollte es trotz allem unangenehm werden, gibts immer noch den "Not-Aus-Knopf" - zumindest beim Oticon Ponto

Von daher ist trotz digitaler Technik einiges machbar, um einer Hörschutzfunktion weitgehend gerecht zu werden, die so gesehen nie an die (tatsächlich notwendige) Dämpfung von 20-30db wie bei den herkömmlichen Ohrstöpseln herankommt.

Fazit:
Ein Hörgerät ist in erster Linie ein Verstärker, kann aber nur über Kompromisse als Hörschutz fungieren.

Gruß
Wer nicht (gut) hören kann, sollte genauer hinsehen ;)
Körper(sprache) lügt niemals :!:

BAHA-Träger seit 1998
Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#21

Beitrag von Musiker_72 »

Naja, ein Hörgerät mit geschlossener Anbindung (Power-Domes oder geschlossene Otoplastik) ist, wenn es ausgeschaltet ist, erst mal ein fantastischer Hörschutz.

Die Probleme fangen an, wenn man es einschaltet ...
nokasch
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#22

Beitrag von nokasch »

@Musiker:
Ich bin ehrlich gesagt immer wieder erstaunt über Deine Fachkenntnisse und kann Dir auch oft nicht folgen, denn manches verstehe ich nicht.
Ich mache es mir immer einfach (gut, zu Rockkonzerten gehe ich schon seit etlichen Jahren nicht mehr): beim Betreten der Kirche sonntags schalte ich die Geräte 3 Stufen runter (ich glaube, das sind dann 12 db weniger), weil die Lautstärke der Orgel mich sonst umhaut. Klappt ganz gut. Ich hatte aber auch schon immer Otoplastik mit kleiner Belüftung.
Grüße
Norbert
Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#23

Beitrag von Musiker_72 »

Hallo,

ich habe jetzt im Rahmen vieler Proben die Gehörschutzprogramme ausführlich getestet und optimiert.

Wichtig ist: Sowohl die Verstärkung als auch die MPO müssen heruntergeregelt werden. Als Anfangswert kann man mal 15 dB Absenkung nehmen. Auch die Kompression sollte nicht zu klein (auch nicht zu groß) gewählt werden, ganz gut klingt ein Kompressionsfaktor von 1,5.

Wenn man nun ein Hörgerät hat, das am Eingang nicht verzerrt, dann funktioniert das sehr gut bis zu einer Lautstärke von etwa einem live gespielten, aber nicht verstärkten Schlagzeug.

Sobald man nun zu wirklich großen Veranstaltungen geht, bei denen die Tontechniker ihre überdimensionierten Bassboxen auch ausreizen wollen, kommt man damit nicht mehr weiter.

Für mich ist es dennoch eine super Lösung für meine Musikpädagogische Arbeit: Per Fernbedienung kann ich leicht zwischen Schalllschutz und Sprachverstehen umschalten, das würde mit Ohrstöpsel raus, Hörgerät rein, nicht gehen. Und generell Musik nicht allzu laut zu verstärken ist ohnehin für alle gesünder.
fast-foot
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#24

Beitrag von fast-foot »

Vielleicht noch die Anmerkung, dass, will man wirklich sicher gehen, dass aus objektiver Sicht ein gewisser Schutz für das Gehör gewährleistet wird, man dies bei einem entsprechend zertifizierten Akustiker einrichten lassen kann bzw. muss.

Gruss fast-foot
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Musiker_72
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Re: Hörgeräte als Hörschutz - ein Experiment

#25

Beitrag von Musiker_72 »

Das ist natürlich richtig.

Optimal wäre es, die Wirkung des Hörschutzes mit einer In-Situ-Messung zu verifizieren. Marshall Chasin hat mal was darüber geschrieben, dass man Ohrstöpsel in situ nachmessen kann. Dabei kommt es zwar zu einem kleinen Leck wegen des Schlauchs, das sei aber nicht so schlimm.

Ich selbst habe die Dämmwirkung der Power Domes beim Akustiker über eine Aufblähkurve nachmessen lassen (also einen Hörtest gemacht mit Stöpseln drin und die Ergebnisse mit meinem normalen Hörtest verglichen), das ist auch schon mal was, kann aber kleine Lecks, die sich nur auf eine Frequenz auswirken, natürlich nicht feststellen.
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