In situ-Anpassung

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Hoffi
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In situ-Anpassung

#1

Beitrag von Hoffi »

Hallo alle zusammen,

in dem Beitrag "Einstellung nach Gefühl oder gibt es bessere Methode" (12.06.13) wurde die in situ Anpassung angesprochen. Dies habe ich zum ersten Mal gehört bzw. gelesen.
Wer kann dazu Näheres mitteilen bzw. hat Erfahrungen damit? Bei meinen Akustikern (bisher 2) habe ich von dieser Methode bisher nichts gehört.

Liebe Grüße
Hoffi
fast-foot
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Re: In situ-Anpassung

#2

Beitrag von fast-foot »

Hallo Hoffi,

bei der in situ-Messung geht es im Prinzip um eine möglichst präzise Quantifizierung des Anpasserfolges.

Worum es hierbei geht, möchte ich vereinfachend wie folgt zusammen fassen:

Für die Erfassung und Quantifizierung des Anpasserfolges wurden eine Reihe von Verfahren enwickelt und verwendet, die hierarchisch in der Reihenfolge der zugeordneten Ebene der auditorischen Verarbeitung angeordnet werden können. Grob können die Verfahren eingeteilt werden in Methoden, die einen eher analytischen Ansatz verfolgen (z.B. In situ-Messung, Audiometrie mit Hörgeräten, Aufblähkurve) und das periphere Hörvermögen prüfen und Me-thoden, die einen eher integrativen Ansatz verfolgen (z.B. Sprachaudiometrie, subjektive Beurteilungen) und eher zentrale Anteile berücksichtigen.
Die analytischen Methoden werden eher in frühen Phasen der Hörgeräte-Anpassung eingesetzt, während die integralen Methoden eher für die Feinanpassung und die abschliessende Beurtei-lung herangezogen werden. Wenn die abschliessende Beurteilung unbefriedigende Resultate zeigt, werden die Hörgeräte-Einstellungen in der Feinanpassung weiter optimiert. Es können mehrere Schritte notwendig sein, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Ich möchte im folgenden noch kurz auf die Sondernmikrofonmessung eingehen.

Die Messung der Hörgeräte-Eigenschaften in einem Kuppler berücksichtigt nicht die Eigenschaften des individuellen Gehörgangs und der individuellen Otoplastik, da ein Kuppler deren akustische Eigenschaften nur unvollkommen abbildet. Alternativ kann der Schalldruckpegel mit einem Sondenmikrofon im Gehörgang gemessen werden, um die akustisch wirksame Verstärkung zu ermitteln. Bei sorgfältiger Platzierung des Sondenschlauchs kann die In situ-Messung die Eigenschaften der Hörgeräte zuverlässig erfassen und erlaubt so die Überprüfung der Hör-geräte-Übertragungsqualität im Einzelfall. Man muss darauf achten, dass der Sondenschlauch nicht die Position der IO-Schale oder der Otoplastik beeinflusst, was zu einer signifikanten Verfälschung der akustischen Eigenschaften und damit zu verfälschten Messergebnissen führen würde. Dies gilt besonders für Gehörgangs- und CIC-Geräte.
Zur Bestimmung der Übertragungsfunktion des Hörgerätes wird zunächst der Frequenzgang des unversorgten Ohres gemessen (Real Ear Unaided Gain, REUG). Der Frequenzgang wird haupt-sächlich durch das Volumen, die Geometrie des Gehörgangs und die dadurch entstehenden Resonanzeffekte bestimmt. Insbesondere bei Kindern ist die REUG daher eine dynamische Größe, die sich mit der Zeit ändert.
Im Anschluss wird der In situ-Frequenzgang mit eingesetztem Hörgerät gemessen. Die akustisch wirksame Einfügeverstärkung kann als Differenz zwischen unversorgtem und versorgtem Frequenzgang ermittelt werden. Die Subtraktion des unversorgten Frequenzganges ist notwendig, da die IO-Schale oder Otoplastik durch den Verschluss des Ohres die Resonanzeffekte des offenen Gehörgangs beseitigt. Die Einfügeverstärkung sollte möglichst gut mit der Zielverstärkung übereinstimmen. Auch hier ist zu bedenken, dass eine gute Übereinstimmung zwischen ermittelter und gewünschter Verstärkung nicht mit einer optimalen Anpassung gleichgesetzt werden kann.
Die Bestimmung der Zielverstärkung ist mit Unsicherheiten behaftet. Darüber hinaus muss eine gute Annäherung an die Zielverstärkung nicht zu einem guten Gesamterfolg führen. In situ-Messungen ermitteln nur die Eigenschaften des Hörgerätes am Eingang zum Hörsystem, die Eigenschaften der peripheren und zentralen Verarbeitungsstörungen bleiben also unberücksichtigt.

Ich hoffe, ich konnte Klarheit schaffen.

Gruss fast-foot
Zuletzt geändert von fast-foot am 20. Jun 2013, 21:06, insgesamt 1-mal geändert.
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SabineGast

Re: In situ-Anpassung

#3

Beitrag von SabineGast »

Hallo Hoffi,

schön, dass dir mein Beitrag gefallen hat ;)

@fast-foot: Wow, dass war wirklich eine beeindruckende Zusammenfassung - woher erlangt man das ganze Fachwissen, wenn man kein Akustiker ist? :)

Ansonsten würde ich einfach nur kurz mit meinen Worten noch einmal ein wenig Zusammenfassen und zwar möglichst einfach verständlich:

Es gibt verschiedene Arten Hörgeräte zum ersten Mal auf einen Kunden einzustellen. Die erste und gängigste ist folgende:

Der Akustiker hat beim ersten Termin Messungen gemacht und ein Gerät ausgewählt. Dieses ausgewählte Gerät wird dann an den Computer angeschlossen und von der herstellereigenen Software erkannt. Aufgrund der hinterlegten Messungen berechnet die Software dann eine Verstärkung auf welche die Geräte eingestellt werden - hierbei bezieht sich die Software meist nur auf die gemessene Knochenleitung und Luftleitung und Angaben die vom Akustiker eingegeben werden z.B. die Größer der Zusatzbohrungen im Ohrstück. Bei manchen Herstellern ist es dann auch möglich über die Hörgeräte noch einmal direkt einen Hörtest zu machen um die individuellen Eigenschaften der Otoplastik etc. mit einfließen zu lassen.

Bis hierhin geht man bei der Insitu-Messung genauso vor wie oben beschrieben. Im normalen Ablauf folgt nach diesem Punkt dann einfach bereits die subjektive Nachjustierung mit dem Kunden.

Bei der Insitu-Messung macht man dann, wie von fast-foot schon beschrieben, eine Messung mit einem Sondenschlauch im Ohr aber erstmal ohne Hörgerät. Danach setzt man das bereits durch die Herstellersoftware eingestellte Hörgerät ins Kundenohr und misst entweder mit einem Sprachsignal (neustes Verfahren/gemisch aus mehreren Sprachen) oder mit einem Sprachsimulierenden Rauschen was an Verstärkung wirklich im Ohr ankommt. Der Vorteil bei dem Sprachsignal ist, dass man die komplette Dynamik von Sprache erkennen kann.
Es erscheint dann während der Messung eine Zielkurve auf dem Bildschirm, auf welche das Hörgerät dann eingestellt wird. Wichtig zu wissen ist: Es passiert hierbei ein Lautheitsausgleich, dass bedeutet das Hörgerät wird so eingestellt das der Schwerhörige das Lautheitsempfinden eines Normalhörenden bekommt. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass diese Einstellungsart meist lauter ist (besonders im Tieftonbereich, da hier sonst durch große Zusatzbohrungen oder Standardschirmchen viel abfließt, also schon aus dem Ohr wieder draußen ist bevor man es überhaupt hört). Das sorgt natürlich für ein anfänglich lautes Hörerlebnis, da hierbei auch leise Sprachanteile wieder über die Hörkurve gebracht werden - die "normale" Voreinstellung der Hersteller Software zielt im Unterschied dazu nämlich auch darauf ab eine möglichst hohe Erstakzeptanz bei Schwerhörigen zu erreichen um Sie so zum kaufen zu bewegen. Die Vorteile der Insitu-Anpassung sind aber: Besseres Sprachverstehen allgemein und in lauten Umgebungen und ein natürlicheres Klangbild. Dies will ich nicht pauschalisieren, aber war eben bei vielen der Kunden so.

Hier ein paar Links zum Thema (von H.Bonsel/fast die einzigen im Netz, also bitte nicht wundern, warum diese nur von ihm sind):

http://www.youtube.com/watch?v=SWvgKijxFIk (Zielkurven in der Hörgeräteanpassung -> find ich persönlich sehr interessant)

http://www.youtube.com/watch?v=LgVlrACaZ5g (warum Insitu-Messung)

Die Links sind natürlich schon sehr fachlich, aber man versteht sie vielleicht. Fast-foot tut dies garantiert ;)

Ich hoffe ich konnte noch eine etwas andere Sichtweise auf dieses Thema liefern. Euch allen wünsche ich viel Spaß mit euren Hörgeräten - egal ob mit oder ohne Insitu-Messung angepasst :)
JND
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Re: In situ-Anpassung

#4

Beitrag von JND »

Noch ein ganz kurzer Hinweis zum Video von Harald Bonsel und zur Zielkurvenanpassung:

Wenn eine Lautheitsskalierung durchgeführt wird, bitte nicht nur schmalbandige Terzbandrauschen verwenden, sondern auch breitbandige Signale wie z.B. das oben erwähnte ISTS-Signal. Bei reiner Anpassung durch schmalbandigen Terzbandrauschen wird die Lautheitssummation nicht berücksichtigt und die Endverstärkung kann zu laut sein.

Idealerweise wird die In-Situ-Messung noch mit einer Perzentilanalyse verknüpft, damit die unterschiedlichen Eingangspegel auch in ihrer ganzen Dynamik dargestellt werden und nicht nur mit Mittelwert + Standardabweichung. Die Perzentilanalyse trifft man auch noch zu selten an. Zum Glück wird sich das mit den kommenden Normen ändern.

Schöne Grüße,
JND
Maria10
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Re: In situ-Anpassung

#5

Beitrag von Maria10 »

hallo, offenbar kann diese IN-Situ-Messung nicht bei allen Hörgerätetestern gemacht werden,
bei mir z.B. hatte die Akustikerin gesagt, sie würde mich dabei zu sehr unter Stress setzen - weg. Hyperacusis, Tinnitus.
So wurden meine neuen Phonak Geräte ohne diese Methode angepasst....

wenn ich die Ausführungen dazu so lese, ist mir jetzt schon klar, warum sie
drauf verzichtet hatte...
fast-foot
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Re: In situ-Anpassung

#6

Beitrag von fast-foot »

@fast-foot: Wow, dass war wirklich eine beeindruckende Zusammenfassung - woher erlangt man das ganze Fachwissen, wenn man kein Akustiker ist?
Danke für das Kompliment. Im Netz "liegen ganze Studienbriefe herum". Ich habe mir einen Scherz erlaubt und den betreffenden Text kopiert und leicht modifiziert eingestellt (und auf eine Reaktion gewartet).

Dies noch zur Klarstellung, da ich mich nicht mit fremden Federn schmücken möchte (jedenfalls höchstens als Scherz).

Aber, wie gesagt, man findet sehr viele Informationen kostenlos im Internet.

Gruss fast-foot
Ausgewiesener Spezialist* / Name: Wechselhaft** / Wohnsitz: Dauer-Haft (Strafanstalt Tegel) / *) zwecks Vermeidung weiterer Kollateralschäden des Landes verwiesen / **) Name fest seit Festnahme
fast-foot
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Re: In situ-Anpassung

#7

Beitrag von fast-foot »

Bei manchen Herstellern ist es dann auch möglich über die Hörgeräte noch einmal direkt einen Hörtest zu machen um die individuellen Eigenschaften der Otoplastik etc. mit einfließen zu lassen.
Das fände ich noch sinnvoll. Beim Lesen des Studienbriefes habe ich mich nämlich gefragt, ob denn der übliche Hörtest (mit geeichtem Audiometer und Kopfhörer) nicht der selben Problematik unterliegt (wenn vielleicht auch in abgeschwächter Form), welche durch die in situ-Messung gelöst werden soll. Enstsprechend für die Lautheitsskalierung.

Oder anders ausgedrückt: Es wird zwar eine Ungenauigkeit ausgebügelt, der Bezugspunkt selbst ist jedoch immer noch "mit Fehlern behaftet" und könnte ebenfalls korrigiert werden.

Gruss fast-foot
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JND
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Re: In situ-Anpassung

#8

Beitrag von JND »

@fast-foot:
Der normale Hörtest über Lautsprecher/Kopfhörer hat ebenfalls Probleme bei der Berücksichtigung der individuellen Gehörgänge. Wichtiger ist hier eine Korrektur, wenn die Messwerte von den Lautsprechern (über Freifeld) mit denen über Kopfhörer verglichen werden. Diese Korrektur wird aber während der jährlich stattzufindenden Kalibrierung der Audiometer vorgenommen. (Die Korrekturfaktoren finden sich in den entsprechenden DIN-Normen).

Allerdings geht es hier nur um eine recht grobe (meist 5-dB Auflösung) Bestimmung der Hörschwelle. Der potenzielle Fehler durch einen fehlerhaften Sitz des Kopfhörers ist hier viel größer als der Einfluss des Gehörganges. (Der Gehörgang bewirkt "nur" eine Verschiebung der Gehörgangresonanz. Dies ist vor allem wichtig bei Babys und Kleinkindern bis ca. 5-6 Jahren. Auch mit ein Grund warum die Anpassung bei Babys/Kleinkindern in die Hände von Pädaudiologen gehört.) Bei Erwachsenen ist der Einfluss der individuellen Gehörgangsresonanz für die Standard-Tonaudiometriefrequenzen zu vernachlässigen.

Hoffe das war verständlich ausgedrückt,
JND
franzi
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Re: In situ-Anpassung

#9

Beitrag von franzi »

Funtioniert diese in situ-anpassung ähnlich wie die Messung einer Speech-Map, nur das bei der Speech-Map sprache verwendet wird?
seit geburt schwerhörig. erste Hörgeräte mit 11jahren, mittlerweile Hochgradig sh bis an taubheitgrenzende schwerhörig
Links seit 12.2010 CI , re-implantation Mai.2011 und recht oktober.2014 CI.
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