Hallo Andrea,
ich habe deine Frage an mich durch Zufall entdeckt, da ich hier immer nur oberflächlich mitlese.
Für die Schule - das war eine Schwerhörigenschule - war es kein Problem, dass ich schon lesen konnte. Das lag aber auch daran, dass sie (zunächst) eine niedrige Meinung von mir hatte, weil ich kaum was von mir gab, wenn man mich ansprach, und weil ich nur auf Einzelansprache reagierte, aber sonst passiv blieb, wenn die Erzieherin (in der Schwerhörigenvorschule) bzw. der Lehrer allgemein zur Klasse sprach. Ich war also keine Überfliegerin, in Mathe war ich schwach, ich war/bin zusatzbehindert (körperlich), das war insofern mein Glück, dass man es befürwortet hat, dass ich schon lesen konnte. Im Lauf des Schuljahres hat der Klassenlehrer gemerkt, dass ich Texte verstand, das hat er dann sehr unterstützt und gefördert.
Ich muss auch dazu sagen, dass ich das Lesen mit 5 Jahren sehr spielerisch und ganz zwanglos erlernte. Meine Mutter hatte nicht das Ziel, dass ich richtig lesen lernte, weil man damals noch davon ausging, dass bei mir eine geistige oder Lernbehinderung vorlag. Ihr Ziel war es, dass ich verstand, dass Buchstaben mit dem, was wir sprachen, zu tun hatten. Ich konnte mit 5 Jahren ja auch nicht fließend lesen, ich habe da Hefte mit Bildern (Petzi-Hefte) gelesen, mit 7 Jahren konnte ich kurze einfache Texte lesen.
Ich habe mich in der 1. Klasse übrigens nicht gelangweilt, wenn die anderen Kinder sich gerade mit den Buchstaben abmühten; ich war vielmehr stolz, schon lesen zu können.

Unser Lehrer hat uns schon im Frühjahr der 1. Klasse die Schreibschrift beigebracht, das konnte ich noch nicht und fand ich sehr faszinierend. Dadurch dass ich akustisch sehr gehandicappt war und sehr wenig verstand (eigentlich nichts

), war es nicht langweilig für mich. Ich habe es vielmehr genossen, dass mein Lehrer so viele Bilder eingesetzt hat und ich dem Stoff folgen konnte, das war ganz anders als im Regelkindergarten.
Abgesehen davon darf man die heutige Zeit vielleicht nicht mit der früheren vergleichen.
Ich würde euch empfehlen, dass ihr nach eurem Bauchgefühl entscheidet, ob ihr eurem Kind vor der Einschulung das Lesen beibringt oder nicht.
Ich persönlich bin sehr dafür, vor allem je schlechter das Kind gesprochene Sprache versteht. Das Lesen war für mich DAS Tor zur Sprache (Lautsprache). Die Basis hat meine Mutter vorher schon durch die vielen Gespräche geschaffen, aber als ich dann zu lesen anfing, hat sich meine Sprache rapide weiterentwickelt.