ich habe bei meiner Onlinesuche nach Austausch mit Anderen dieses Forum gefunden.
Dieses Jahr habe ich nach einem Hoertest mein erstes Hoergeraet erworben. Ich bin 40 Jahre alt und habe bereits seit Jahren Probleme im Alltag alles zu verstehen. Da ich seit 2015 in Australien lebe, dachte ich lange, dass einfach die Kommunikation in der Zweitsprache mein Problem ist. Ich hatte immer z.B. extreme Probleme starke Akzente im Englischen zu verstehen oder auch Gespraeche in lauter Umgebung – wie ich jetzt weiss, ja ganz klassisch bei Hoerverlust. Ich dachte immer, ich muesste das nur noch mehr trainieren, um auf Muttersprachler Niveau zu kommen und habe mich bei dem Versuch meine Probleme durch Anstrengung zu ueberwinden in den letzten Jahren ziemlich erschoepft. Bei Gespraechen oder Fernsehen auf Deutsch verstehe ich ohne Hoergeraete wesentlich mehr als im Englischen, wahrscheinlich fuellt mein Gehirn einfach die Luecken in der Muttersprache besser.
Das Ergebnis des Hoertests vor einigen Monaten war fuer mich ein ziemlicher Schock, vor allem die Einsicht etwas zu haben, dass sich nicht „wegtrainieren“ laesst, sondern einfach akzeptiert werden muss und in Zukunft eher schlechter werden wird als besser. Seit Jahren umgeben von englischen Muttersprachlern, dachte ich immer, wenn ich mich genug anstrenge, verstehe ich irgendwann genau so viel wie alle Anderen. Das Hoerverlust nicht nur bedeutet, Leises nicht mehr zu hoeren sondern auch zu einer Verzerrung fuehrt wegen der Konsonanten, die nicht mehr gehoert werden, wusste ich gar nicht. Ich dachte immer ok, die Australier nuscheln ja alle so extrem, besonders die Kinder...
Laut meinem ersten Hoertest als Erwachsener dieses Jahr habe ich einen Hochtonsteilabfall:
250 - 500 - 1k - 2k - 3k - 4k - 8k
R: 20 - 20 - 20 - 30 - 65 - 75 - 70
L: 20 - 20 - 30 - 40 - 60 - 75 – 70
In der Grundschule, bei einer Standarduntersuchung fuer alle Kinder, hatte ich vor ueber 30 Jahren einen Hoertest. Ich habe damals kein/kaum Piepen gehoert und wurde angeschrien, dass ich die Haende heben soll wenn es piept. Aus Angst habe ich dann irgendwie mitgemacht. Hoerprobleme wurden damals nicht diagnostiziert. Im Rueckblick denke ich, dass ich eben damals schon nicht 100% „normal“ gehoert habe. Beim ersten Hoergeraet Testen dieses Jahr habe ich aber auch Sachen wieder gehoert, an die ich mich aus meiner Kindheit noch erinnere, z.B. Schluessel ins Schloss stecken (ich dachte, die modernen Schloesser machen keine Geraeusche mehr

Da ich vor allem im Job (Meetings, Messen, Grossraumbuero) immer extremere Probleme hatte, war mir beim Hoergeraet wichtig, dass ich in solchen Situationen wieder so gut wie irgendwie moeglich hoeren kann. Ich habe Anfang diesen Jahres ein Phonak Audeo Paradise getestet und fuer viel Geld gekauft. Anfangs war ich hochmotiviert und habe langsam aber stetig mit dem Tragen begonnen und hatte auch eine wesentliche Verbesserung, vor allem in Onlinemeetings oder bei Kundengespraechen in lauter Umgebung. Auch so etwas wie Unterhalten im Auto ging zumindest wieder wesentlich besser.
Leider hat sich meine Brille durch das Tragen der Hoergeraete geweitet, so dass meine Brille nach Kurzem kaum noch hielt. Meine Ohren sind fuer einen Erwachsenen total klein und obwohl das Hoergeraet ja wirklich klein ist, ist ueber und hinter dem Ohr kaum Platz fuer Hoergeraet + Brillenbuegel. Ich war immer wieder beim Optiker und das Nachstellen hat dann ein paar Tage geholfen, aber dann war der Rahmen wieder zu weit. Da ich total kurzsichtig bin (-11/-10), brauche ich die Brille durchgehend und will wegen viel Bildschirmarbeit auch nicht auf Kontaktlinsen umstellen.
Meine Hoergeraeteakustikerin meinte, dass am Sitz der Hoergeraete nichts geandert werden kann und ich, falls es sich mit der Brille nicht einstellen laesst, eine neue brauche. Leider war die Brille damals auch gerade erst neu. Die frustrierenden Situationen haben sich gehaeuft (Brille fiel mir mitten auf der Strasse vom Kopf, weil einfach nichts richtig sass, Hoergeraet fiel nach vorn und hing dann vorm Ohr ohne dass ich das gemerkt habe) und dann habe ich die Hoergeraete die letzten Monate gar nicht mehr getragen.
Da ich mittlerweile im Alltag bei fast jeder Kommunikation mit Fremden Probleme habe (Hoerverlust + Englisch als Zweitsprache + Maske), nehme ich gerade einen zweiten Anlauf. Ich war mit Hoergeraet eine neue Brille aussuchen und warte nun auf das fertige Exemplar, in der Hoffnung dass hier auch bei langem Tragen jeden Tag alles passt. Mein Ziel ist es, mein Hoergeraet durchgehend zu tragen, so wie jetzt moechte ich nicht leben, jede Interaktion ist frustrierend und mittlerweile meide ich viele soziale Kontakte. Ich hoffe, nach und nach fuer alles Loesungen zu finden, z.B. auch Sport mit Hoergeraet, ohne verstehe ich naemlich nicht mehr genug und es ist so frustig. Komplett aufgeben will ich diese Sachen nicht.
Hier im Forum habe ich bereits einige gute Tipps gefunden, z.B. zum Sichern des Hoergeraets beim Yoga. Es ist super zu lesen dass Andere aehnliche Probleme haben und Loesungen teilen. In meinem Umfeld kenne ich niemanden der auch beim Hoeren Einschraenkungen hat und finde das oft ganz schoen isolierend. Dazu kommt das Leben im englischsprachigen Umfeld. Eigentlich ist mein Englisch fliessend, aber mittlerweile bin ich beim Hoeren so eingeschraenkt, dass es doch ein Riesenunterschied zur Kommunikation im Deutschen ist. Ich verstehe auch oft bei Korrekturen keinen Unterschied mehr, wenn jemand sagt ein Name wird X ausgesprochen, nicht Y. Fuer mich klingt das selbst bei mehrfacher Wiederholung alles gleich.
Das so viel Kommunikation im Alltag nicht gelingt ist neu (durch die Masken verstaerkt) und mittlerweile fuehle ich mich „behindert“ was eine neue Erfahrung ist und mir ziemlich zu schaffen macht. Selbst beim Busticket oder Kaffee kaufen, verstehe ich nicht mehr genug um Missverstaendnisse zu vermeiden. Ueber die vergangenen Jahre habe ich die Einschraenkungen, die ich hatte, immer ausgleichen koennen. Z.B. im meinem Zweitstudium musste ich mich immer extrem konzentrieren um allem folgen zu koennen, habe dadurch aber auch 100% der Inhalte perfekt abgespeichert und war nach aussen sehr erfolgreich. Aber auch immer wahnsinnig erschoepft, genauso wie im Job.
Ich freue mich auf Austausch in diesem Forum. Besonders wuerde mich interessieren, ob es Andere gibt, die auch im Nicht-Muttersprachler Umfeld leben, also Deutsche im Ausland oder auch Leben in Deutschland ohne Deutsch als Muttersprache? Kennt ihr aehnliche Probleme und was sind eure Strategien um trotzdem klarzukommen?
Sorry fuer die megalange Vorstellung, ist nun mehr Lebensgeschichte als kurze Vorstellung geworden
Viele Gruesse aus Australien
Frangipani