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GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 9. Jun 2012, 18:57
von Wullewux
Hallo,
ich habe mich gerade im entspr. Forum mal vorgestellt, deswegen hier keine Details mehr.
Kurz: Wir sind total genervt, dass die Stadt unserem Sohn nur einen GdB von 80 und die Merkzeichen H, GL und RF zuerkennt. Ich dachte, wir dürfen (nach den Infos, die man hier findet und die wir von der Beratungsstelle bekamen), doch mit 100 und zusätzlich B und G rechnen. Weil wir viel mit ÖPNV und Bahn unterwegs sind und demnächst häufiger nach Hannover fahren müssen, wäre uns das B doch ziemlich wichtig.
Auf den ersten Bescheid hin haben wir Widerspruch eingelegt mit ausführlicher Begründung (danke an die Vorarbeit durch dieses Forum!). Der Widerspruch wurde jetzt abgelehnt mit der Begründung: "Nach diesen [ärztlichen] Stellungnahmen liegen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B zur Zeit nicht vor, da aufgrund des Alters ggf. entstehende Sprachstörungen noch nicht beurteilbar sind". Weiter heißt es: "Da die Implantation eines Cochlea-Implantes beidseits empfohlen ist, bleibt das Ausmaß der Sprachentwicklungsstörung abzuwarten".
Klar, ein 5-monatiger Säugling spricht noch nicht. Aber ich dachte, das sei nicht relevant bei einer angeborenen Hörstörung. Wir hoffen ja auch, dass er problemlos sprechen lernt, aber weiß man das? (Würde man bei einem beinlos geborenen auch argumentieren, dass er ja sowieso in dem Alter nicht laufen kann? Ich weiß, das ist ein böser Vergleich...)
Deswegen meine Fragen: Hat die Stadt recht oder wir? Was sollten wir als nächstes tun?
Was kann man dagegen argumentieren, kennt jemand Präzedenzfälle, auf die man sich berufen könnte?
Danke schonmal,
LG, Vera

Re: GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 9. Jun 2012, 21:23
von rhae
Also eigentlich würde ich Euch ja raten Klage beim Sozialgericht gegen den Bescheid einzureichen, denn die Ausführungen der Versorgungsmedizin-Verordnung sind recht eindeutig und würden in Eurem zu einem GdB 100 mit den Merkzeichen G,B,H,GL,RF führen. Aber die Argumentation Eures Versorgungsamtes entbehrt nicht einer gewissen Logik und ich kenne auch Gerichtsurteile die die Versorgungsmedizin-Verordnung teilweise außer Kraft gesetzt haben und zum Nachteil der Betroffenen ausgegangen sind. Eine ausführliche Rechtsberatung kann aber auch nur ein Anwalt geben, das oben Geschriebene ist nur meine private Meinung.

Eine andere Option wäre auch den Ausweis erstmal anzunehmen und bei nächster Gelegenheit (neuer Hörtest/Bera) einen Verschlechterungsantrag zu stellen.

vg Ralph

Re: GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 9. Jun 2012, 23:18
von Karin
Ich würde auch einen Anwalt aufsuchen. Sollte sich später etwas zum besseren wenden, können die ja immer noch den GdB runterschrauben. Ein B würde ich mir auf jeden Fall erstreiten.
Lieben Gruß
Karin

Re: GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 10. Jun 2012, 10:37
von Kaja
Hallo Vera,
VeraK hat geschrieben:Klar, ein 5-monatiger Säugling spricht noch nicht
bei den Merkzeichen "G" und "B" kommt es - im Gegensatz zum Merkzeichen "H" - nicht darauf an, ob Kinder in diesem Alter schon altersbedingt die entsprechende Unterstützung benötigen. Wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung die Merkzeichen bei einem Erwachsenen bedingen würde, sind diese Merkzeichen auch Kindern zu gewähren:

http://vmg.vsbinfo.de/d/2.htm
Für die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson ist nach dem SGB IX die Berechtigung für eine ständige Begleitung zu beurteilen. Auch bei Säuglingen und Kleinkindern ist die gutachtliche Beurteilung der Berechtigung für eine ständige Begleitung erforderlich. Für die Beurteilung sind dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend. Es ist nicht zu prüfen, ob tatsächlich diesbezügliche behinderungsbedingte Nachteile vorliegen oder behinderungsbedingte Mehraufwendungen entstehen.
http://vmg.vsbinfo.de/d/1.htm
Auch bei Säuglingen und Kleinkindern ist die gutachtliche Beurteilung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erforderlich. Für die Beurteilung sind dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend. Es ist nicht zu prüfen, ob tatsächlich diesbezügliche behinderungsbedingte Nachteile vorliegen oder behinderungsbedingte Mehraufwendungen entstehen.
VeraK hat geschrieben:Der Widerspruch wurde jetzt abgelehnt mit der Begründung: "Nach diesen [ärztlichen] Stellungnahmen liegen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B zur Zeit nicht vor, da aufgrund des Alters ggf. entstehende Sprachstörungen noch nicht beurteilbar sind". Weiter heißt es: "Da die Implantation eines Cochlea-Implantes beidseits empfohlen ist, bleibt das Ausmaß der Sprachentwicklungsstörung abzuwarten".
Dein Kind hat JETZT jedoch kein CI - und ist jetzt in seinem Spracherwerb eingeschränkt. Ob sich durch die CI-Versorgung möglicherweise Verbesserungen im Spracherwerb ergeben, kann gern dann geprüft werden. Das Versorgungsamt hat den JETZT-Zustand zu beurteilen, nicht irgendwelche fiktiven Änderungen in der Zukunft:

Viele Grüße

Re: GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 10. Jun 2012, 14:24
von Wullewux
Hallo zusammen,

vielen Dank für eure ausführlichen Antworten. Das klingt ja nach Arbeit und wie wenn man als Hörgeschädigter eine Rechtsschutzversicherung braucht. Nach anderen Berichten scheint das ja das ganze Leben lang so weiterzugehen.. Eigentlich würden wir unsere Energie lieber für anderes verwenden.
Bei deinen, Kaja, Zitaten ist mir nicht ganz klar, ob das für uns förderlich ist oder nicht. Einem Erwachsenen würde das B und G ja nicht mehr zustehen.

Noch eine Frage: Wenn wir bei einer solchen Klage Recht bekämen, könnten wir dann in der Zwischenzeit entstehende Fahrtkosten zurückbekommen? Wenn sich das Verfahren ewig hinzieht (womit ich inzwischen rechne) ist das ja eigentlich nicht unsere Schuld, oder? Oder wäre das gebunden an Fahrten zu Ärzten etc.?

Was mich unglaublich nervt an der Sache ist, dass man so als Bittsteller hingestellt wird, der etwas einfordert, das ihm nicht zusteht. So habe ich unseren Sozialstaat bisher nicht verstanden und verstehe jetzt (potentielle) Harz IV-Empfänger, die dann lieber keinen Antrag stellen als sich so erniedrigen zu müssen.

Viele Grüße,
Vera

Re: GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 10. Jun 2012, 15:07
von Kaja
Hallo Vera,
VeraK hat geschrieben:Bei deinen, Kaja, Zitaten ist mir nicht ganz klar, ob das für uns förderlich ist oder nicht. Einem Erwachsenen würde das B und G ja nicht mehr zustehen.
dann nimm das Beispiel eines z. B. 10-jährigen Kindes - dem würden bei dem Hörverlust deines Sohnes die Merkzeichen "B" und "G" zu gewähren sein. Aus den Zitaten soll nur hervorgehen, dass die Ablehnung aufgrund des Bestehens eines alterstypischen Hilfebedarfs bei diesen Merkzeichen nicht erfolgen darf, wenn darüber hinaus ein behinderungsbedingter Hilfebedarf vorliegt.
VeraK hat geschrieben:Noch eine Frage: Wenn wir bei einer solchen Klage Recht bekämen, könnten wir dann in der Zwischenzeit entstehende Fahrtkosten zurückbekommen? Wenn sich das Verfahren ewig hinzieht (womit ich inzwischen rechne) ist das ja eigentlich nicht unsere Schuld, oder? Oder wäre das gebunden an Fahrten zu Ärzten etc.?
grundsätzlich nicht. Aber:

1. Mit dem Merkzeichen "H" kannst du nach 33.1-33.4 EStH bis zu 15.000 km x 0,30 € auch für Freizeit-, Erholungs- und Besuchsfahrten steuermindernd ansetzen.

http://www.steuerlinks.de/richtlinie/es ... -33.4.html

2. Es gibt das rechtliche "Konstrukt" des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Durch die offenkundige Falschbescheidung durch das Versorgungsamt entstehen dir Fahrtkosten als Begleitperson, die als Schaden anzusehen und grundsätzlich nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches erstattungsfähig sind.
VeraK hat geschrieben:Das klingt ja nach Arbeit und wie wenn man als Hörgeschädigter eine Rechtsschutzversicherung braucht.
Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist gerichtskostenfrei und kann auch ohne Anwalt geführt werden. Und bei einem erfolgreichen Verfahren trägt die Gegenseite die Kosten einer Inanspruchnahme eines Anwalts.

Viele Grüße

Re: GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 10. Jun 2012, 19:46
von Momo
hallo vera

ja eine rechtschutzversicherung war mit das erste was wir nach der diagnose abgeschlossen haben...

zum sba: sie versuchen es immer wieder. dein sohn ist taub lt. versorgungsmedizinsichen anhaltspunkten. es ist unerheblcih ob er mit hgs oder cis etwas hört. zum jetzigen zeitpunkt ist er taub und damit auch ohne hörvermögen für sprache also kann man von einer sprachentwicklungsstörung erstmal ausgehen. wenn er dann, steht ja auch nicht fest, mal ein ci bekommt und sich sprachlcih gut entwicklet wird in eingen fällen der gdb herabgesetzt- nicht immer allerdings. aber aus diesem gurnd (neubeurteilung in ein paar ajhren) ist der sba meist nur für einen gewissen ezitraum 8z.b. 5 jahre gültig) und dann wird neu beurteilt.

so steht im 100%, H, B, G, GL und RF zu.

Daher würde ich gegen den bescheid klagen!

Grüße

Re: GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 14. Jun 2012, 23:05
von Wullewux
Hallo zusammen,

Beharrlichkeit zahlt sich aus, sogar schneller als gedacht.

Wir haben nochmal mit dem Sozialamt persönlich gesprochen und es dann geschafft, doch mal die verantwortliche Ärztin am Gesundheitsamt ans Telefon zu bekommen. Und siehe da: Beim GdB von 80 bleiben sie, weil die Sprachstörung noch nicht feststellbar ist (Wie meinte jemand: Das Kind muss erst in den Brunnen fallen...), aber wir bekommen noch B und G eingetragen, also insgesamt H, B, G, GL und RF. Damit sind wir dann mal zufrieden. Wenn ein HNO-Arzt eine Sprachstörung diagnostiziert, bekommen wir den GdB von 100. Sie meinte, inzwischen würde man die Richtlinie seit den guten CI-Ergebnissen anders auslegen. Naja, vertretbar. Wir hoffen ja auch auf die gute Sprachentwicklung.

Danke für eure Kommentare und guten Argumente!

Vera

Re: GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 15. Jun 2012, 10:33
von Karin
Hallo, ich könnt euch natürlich damit zufrieden geben, aber richtig ist es nicht!
Wenn ihr euch nun überlegt kein CI zu nehmen, wie würden die das dann auslegen? Es ist ja nun mal keine Pflicht, seinem Kind ein CI zu geben.

Es ist eine Ausrede, mit der Auslegung!!
Ihr könnt aber auch rückwirkend die 100 bekommen! Kaja - wie viele Jahre waren das noch??
LG
Karin

Re: GdB für 5-monatigen Säugling

Verfasst: 15. Jun 2012, 11:17
von Kaja
Karin hat geschrieben:Ihr könnt aber auch rückwirkend die 100 bekommen! Kaja - wie viele Jahre waren das noch??
Eine rückwirkende Änderung nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Schwerbehindertenausweisverordnung kann für einen unbegrenzt langen Zeitraum beantragt werden - man muss nur ein entsprechendes Interesse glaubhaft machen. Dies kann die rückwirkende Inanspruchnahme von steuerlichen Nachteilsausgleichen sein. Hier ist der Einwand einer möglichen Bestandskraft der Steuerbescheide nicht möglich. Da der SBA nach einer Entscheidung des BFH vom 13.12.1985 ein Grundlagenbescheid i. S. § 175 Absatz 1 Nr. 1 AO ist, muss in Anwendung des § 171 Absatz 10 AO die Änderung der Steuerbescheide für alle Zeiträume erfolgen, für die der Grundlagenbescheid SBA Auswirkung hat. Allerdings muss dieser Antrag beim Finanzamt innerhalb von zwei Jahren nach Zugang des SBA gestellt werden.

Viele Grüße