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Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 14:09
von urlaubsreif
Hallo,
ich dachte ja schon, bei der Krankenkasse können sie keine Audiogramme mehr lesen, aber dann... stelle ich fest, dass die seit 2012 nach WHO Kriterien den Grad der Schwerhörigkeit bemessen.
Diese Kriterien sind doch der volle Schwachsinn, wenn nur das bessere Ohr berücksichtigt wird! Danach kann ein Mensch also auf einem Ohr nahezu taub sein, auf dem anderen einen milden Hörverlust haben und wird trotzdem als "nicht schwerhörig" diagnostiziert.
Und klar, die Krankenkassen umgehen damit das BSG Urteil aus 2009, welches hochgradig Schwerhörigen einen höheren Festbetrag zugesteht.
Hat jemand eine Idee oder Kenntnisse darüber, was die WHO veranlasst hat, nur das bessere Ohr für eine Beurteilung des Grades einer Schwerhörigkeit zugrundezulegen?
Das muss doch irgendeinen tieferen Sinn haben.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 16:29
von Ohrenklempner
Um mal einen Vergleich zu nehmen: Wenn ich nur auf einem Auge nichts sehe, bin ich auch nicht gleich blind. Das andere Auge sieht ja noch. Und irgendwo muss ja die Grenze sein zwischen schwerhörig und an Taubheit grenzend.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 16:47
von urlaubsreif
Wenn du nur noch ein Bein hast, bist du auch nicht gehbehindert. Du kannst ja noch hüpfen. :boggle:
Wenn du auf einem Auge nix siehst, bist du einäugig.
Damit einher gehen meines Wissens bereits erhebliche Einschränkungen des Gesichtsfeldes und der 3 D Animation. Ebenso wie das einohrige Hören erhebliche Einschränkungen und Folgeerkrankungen mit sich bringt.
Die WHO Definition ist zu Recht massiv kritisiert worden von deutschen HNO Gutachtern (siehe Link). Und es ist ja auch nicht so, dass es vorher keine Einteilung mit Grenzziehung zwischen leicht bis hochgradig und an Taubheit grenzend gegeben hätte.
Versorgungsrechtlich gilt nach wie vor eine Betrachtung des beidseitigen Hörvermögens.
Wenn die Kassen die WHO Definition zugrundelegen, höhlen sie damit das BSG Urteil aus.
Was hat aber nun die WHO zu einer derart schrägen Definition veranlasst?
Ich begreife das einfach nicht
https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q ... MAiE-KHTsM
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 16:55
von Randolf
Hallo,
hier noch ein Vergleich für den Ohrenmonteur:
Wenn nur noch ein Bein da ist, braucht man auch keinen Rollstuhl und Krücken, man kann ja hinken! Das andere Bein ist für den Ausgleich da?!
LG Randolf
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 19:00
von tabbycat
...auch wenn ich mich hier unbeliebt mache, aber ein fehlendes Bein mit einem tauben Ohr zu vergleichen hat für mich was vom Vergleich von Äpfeln mit Birnen.
Ein Freund von mir verlor vor einigen Jahren durch einen Unfall ein Bein. Seinerzeit lief ich noch fröhlich einseitig hörend ohne
HG herum.
Jetzt ratet mal, wer ohne Hilfsmittel die größeren Probleme hatte... - und immer noch hat.
Besagter Freund kommt ohne Rolli, Krücken oder Beinprothese nicht aus dem Haus, obwohl er recht sportlich ist.
Ich bin mit meiner Einohrigkeit eine Weile überlebensfähig, wenn auch mit gewissen Abstrichen, aber komplett selbstbestimmt.
(bei allem verständlichem Ärger über das ursprüngliche Thema - ein bißchen weniger Jammern täte uns glaube ich allen gelegentlich ganz gut

)
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 19:20
von urlaubsreif
Seinerzeit lief ich noch fröhlich einseitig hörend ohne HG
herum.
Das mag ja sein.
Ich bin 48 Jahre lang unversorgt mit einer an Taubheit grenzenden und einer mittelgradigen Schwerhörigkeit herumgelaufen. Zwar häufig alles andere als fröhlich, häufig auch sehr sehr müde und erschöpft, aber mir war der künstliche, miserable Klang von Hörgeräten schlicht zuwider. Also landeten sämtliche Geräte seit Kindheit in der Schublade.
Scheinbar "normal" gelebt: normale Schule, normales Gymnasium, normale Uni, normales Arbeitsleben.
Die Quittung für "größtenteils fröhlich, normal, ohne
HG herumlaufen" bekam ich dann allerdings im Alter 48. Und die hatte sich gewaschen.
Burn Out, Autoimmundefekt, HWS Probleme (wegen ständiger Halsfehlstellung, weißt schon, gell, immer fröhlich das gute Ohr zur Schallquelle halten), Cortisolresistenz, Bluthochdruck, diverse Hörstürze wegen TSH Schwankungen unter Stress und chronischer Tinnitus. Plötzlich kam der ganze Körper aus dem Gleichgewicht.
Ich kann niemandem raten, es mir gleichzutun.
Und ich finde nicht, dass ich durch meine SH weniger behindert werde als ein Einbeiniger. Ich muss sogar weitaus mehr von meiner grauen Grütze aufwenden als andere, um normal im Leben bestehen zu können. Ich leiste mental das dreifache - minimum - eines Normalhörenden.
Und jetzt möchte ich immer noch wissen, was die WHO sich dabei gedacht hat.
Es muss einen Grund geben, und den wüsste ich gern.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 19:37
von Ohrenklempner
urlaubsreif hat geschrieben:
Diese Kriterien sind doch der volle Schwachsinn, wenn nur das bessere Ohr berücksichtigt wird! Danach kann ein Mensch also auf einem Ohr nahezu taub sein, auf dem anderen einen milden Hörverlust haben und wird trotzdem als "nicht schwerhörig" diagnostiziert.
Nach WHO vielleicht, aber auch das nur leicht schwerhörige Ohr bekommt bei uns ein Hörgerät bezahlt. Auch wenn das andere Ohr vollkommen gesund ist.
Streitbar finde ich aber schon die Tatsache, dass ein WHO4-Ohr nur den normalen Festbetrag bekommt, wenn das andere Ohr noch "einigermaßen" hört. Da fände ich einen höheren Festbetrag schon fair. Aber dann für beide Ohren. Sonst hänge ich ans eine Ohr ein besseres Gerät und an das bessere Ohr das schlechtere Gerät, beide lassen sich aber technisch bedingt nicht als Paar anpassen sondern nur jedes für sich. Das ist Käse, es sollte schon links und rechts die gleiche Technik am Ohr hängen.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 20:13
von urlaubsreif
Nach WHO vielleicht, aber auch das nur leicht schwerhörige Ohr bekommt bei uns ein Hörgerät bezahlt. Auch wenn das andere Ohr vollkommen gesund ist.
Es geht mir wirklich grad nicht um die Zuzahlung, sondern um das Verständnis einer Definition, die mir sinnlos und falsch erscheint.
Lt. Röser habe ich beispielsweise eine an Taubheit grenzende und eine hochgradige SH.
Den Unterschied in der Behinderung zu einer ehemals mittelgradigen SH rechts nehme ich als ausgesprochen gravierend wahr.
Nach WHO bin ich jetzt mittelgradig. Lt. Bescheid der TK sogar "Beidohrig"!
Das ist irgendwie drollig, vor allem, wenn ich die Empfehlungen der WHO lese, woran sich das erkennen lässt: der Betroffene versteht laut gesprochene Wörter in 1 Meter Abstand. Was in diesem Fall zu tun ist: Hörgeräte für gewöhnlich empfohlen. (Hearing aids usually recommended)
Klar, so sieht das Leben aus. Jeder ist so nett und spricht uns in 1 Meter Abstand ins Ohr. Das war vielleicht zu Beethovens Hörrohr Zeiten noch so.
Erst ab WHO 3 heißt es: Hearing aids
needed.
Sehr schön auch der Zusatz: If no hearing aids available, lip-reading and signing should be taught.
Hat die WHO noch nie etwas gehört von den Folgen unversorgter bzw. unzureichend versorgter SH?
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 20:30
von Ohrenklempner
Ich glaube, die Empfehlungen der WHO richten sich nicht an wohlstandsverwöhnte Mitteleuropäer.

Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 20:50
von urlaubsreif
:p
Das sieht die GKV aber anders. Wir wohlstandsverwöhnten Mitteleuropäer könnten ja im Zuge dessen von den Südfranzosen und den Italienern Unterricht im Fuchteln nehmen. Überhaupt sollte man Gebärdensprache als zweite Amtssprache einführen und an den Schulen unterrichten. Das Einsparpotenzial für die GKV wäre vermutlich enorm.
:moo:
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 22:53
von Ohrenklempner
Also ich hab mir tatsächlich mal den Artikel von dem Herrn durchgelesen. Er meint da unter anderem, ab 80 dB sei man ja nicht mehr an Taubheit grenzend sondern schon praktisch taub bzw. resthörig. Ah ja. Und die mindestens 81 dB durchschnittlicher Hörverlust gehen angeblich gar nicht, weil man ja nur in 5-dB-Schritten misst, und daher "mindestens 85 dB" richtig wären. Grundrechenarten sollten als Pflichtfach ins Medizinstudium eingeführt werden.
Er schreibt auch ziemlich einseitig, prügelt auf die
GKV, weil sie in einigen Fällen nicht die höheren Festbeträge zahlt, aber kein Wort darüber, dass die GKVs schon bei deutlich geringeren Hörverlusten Hörgeräte bezahlen, als in der WHO-Empfehlung.
Aber mal davon ab... ich fände es schon ganz nett, wenn da wenigstens noch eine Zwischenstufe bei den Festbeträgen wäre. Jemand mit ner Hörschwelle von 0, 5, 15, 35 dB (in den Prüffrequenzen) braucht nur ein bisschen Hochton-Boost und ist glücklich. Der nächste hat 70, 75, 80, 90 dB Hörverlust, braucht deutlich mehr Verstärkung und auch technische Unterstützung, bekommt aber den gleichen Festbetrag. Aber dann seh ich schon den nächsten Streit aufkommen... "Ich bin nur ein viertel dB von der nächsten Stufe entfernt und bekomme genau so viel wie jemand der viel besser hört"...

Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 9. Nov 2019, 23:21
von urlaubsreif
ab 80 dB sei man ja nicht mehr an Taubheit grenzend sondern schon praktisch taub bzw. resthörig. Ah ja.
Was ist daran verkehrt?
Als Kind, als ich das noch nicht so geblickt hatte mit meinem an Taubheit grenzenden Ohr habe ich immer versucht, auch mal links zu telefonieren und mich stets gewundert, dass ich kein Wort mehr verstehe. Da war ich noch "weit" von 80 dB entfernt.
Er schreibt auch ziemlich einseitig, prügelt auf die GKV, weil sie in einigen Fällen nicht die höheren Festbeträge zahlt
Genau darum geht es in dem Artikel.
Dass die
GKV das BSG Urteil in punkto Versorgung hochgradig Schwerhöriger unterwandert. Denn die WHO Definition wurde als Reaktion auf dieses Urteil eingeführt.
Und es dürfte sich dabei um etliche Fälle handeln. Nicht nur "einige".
Zudem zeigen sich die Kassen überaus kreativ "übergriffig" in der Auslegung dieser Richtlinie:
"Sie beantragen aufgrund Ihrer beidseitigen mittelgradigen Schwerhörigkeit..."
Preisfrage: was ist an diesem Satzanfang trotz WHO Definition falsch, wenn nach Röser links eine an Taubheit grenzende und rechts eine hochgradige Schwerhörigkeit vorliegt?

Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 09:00
von Ohrenklempner
urlaubsreif hat geschrieben:ab 80 dB sei man ja nicht mehr an Taubheit grenzend sondern schon praktisch taub bzw. resthörig. Ah ja.
Was ist daran verkehrt?
Ich betreue einige Betroffene, die WHO4 sind, und da kann von Resthörigkeit oder sogar Taubheit keine Rede sein. Unversorgt kann auch ein nur mittelgradiges Ohr subjektiv als "taub" wahrgenommen werden. Es geht darum, was das Ohr noch leisten kann, und nicht, wie es sich anfühlt.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 09:10
von tabbycat
@Urlaubsreif
Das tut mir leid, daß das bei dir so heftige Auswirkungen hatte.
Mein rechtes Ohr ist mit 15 Jahren durch eine verschleppte Mittelohrentzündung ertaubt, die die Gehörknöchelchen angegriffen hatte. Nach einer OP konnte ich dann angeblich wieder gut genug hören und hab das Beste draus gemacht/ mich durch Schule-Ausbildung-Arbeit gewurschtelt bis ich mit 40 merkte, daß ich doch nicht mehr alles mitbekomme. So kam ich an mein erstes
HG - und war völlig von den Socken, daß meine Konzentrationsprobleme plötzlich Geschichte waren.
Ein paar Jahre später hatte ich auf der anderen Seite einen Hörsturz, durch den eine leichte Hochton-SH entstand. Im Kontext mit ererbter Altersschwerhörigkeit wird das dazu führen, daß ich in den nächsten Jahren auch links ein
HG benötigen werde.
Hörsturz und später Burnout kamen bei mir übrigens nicht durchs Gehör, sondern durch "nette" Kollegen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe ähnliches durch wie du, kann also durchaus "mitreden" und hab nichts von meinem Geschriebenen zynisch oder abwertend gemeint

Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 12:52
von urlaubsreif
Es geht darum, was das Ohr noch leisten kann, und nicht, wie es sich anfühlt.
Nee, darum geht es eben bei der Einteilung des Schweregrades eines Hörverlustes nicht!
Es geht um die Beurteilung der unversorgten Schwerhörigkeit. Und in diesem Sinne sind deine WHO-4ler durchaus an Taubheit grenzend bzw. taub. Oder können sie ohne Hörgeräte Alltagsgesprächen angemessen folgen und verstehen, was gesprochen wird? Hören sie ohne Hörgeräte noch das Vogelzwitschern, das Rauschen eines Wasserfalls in der Ferne und ein von hinten herannahendes Auto? Nicht? Dann sind sie nahezu taub! Können sie ohne Hörgeräte orten, von wo ein Geräusch kommt? Können sie ohne Hörgeräte das Knattern eines Hubschraubers unterscheiden von einem Presslufthammer? Nicht? Dann sind sie nahezu taub!
Unversorgt kann auch ein nur mittelgradiges Ohr subjektiv als "taub" wahrgenommen werden.
Wie anders als "
subjektiv" sollte denn eine Empfindung wahrgenommen werden?
Ich kenne wirklich niemanden, und hier schließe ich sämtliche Erdenbürger ein, der in der Lage wäre, "objektive" Erfahrungen zu machen.
Hören ist mehr als nur Verstärkung, gutes Hören erst recht.
Und als Referenz ist IMMER und in jedem Fall das Subjekt zu nehmen. Wer sonst? Schließlich sind Hören und v.a. das Verstehen auch ein psychologisch-kognitiver Prozess. Wer Lippenabsehen nicht beherrscht, und das trifft für nahezu alle mit erworbener SH zu, wer Gesprächskontexte nicht ausreichend erfasst und hieraus Verständnislücken füllt, wird sich zwingend als nahezu taub beschreiben. Zumal die Vergleichsreferenz das ehedem intakte Gehör ist.
Aber auch darum geht es nicht bei der Messung und Einschätzung des Grades der Schwerhörigkeit, ob nun nach WHO oder Röser.
Sondern ausschließlich um die Ergebnisse des "objektiven" (
haha) Ton- und Sprachaudiogramms. Mit (nochmal
haha) überdeutlich akzentuiert sprechenden männlichen Sprechern, die im RL nur in der Akustikerkabine vorkommen.
"Sie beantragen aufgrund Ihrer beidseitigen mittelgradigen Schwerhörigkeit..."
Preisfrage: was ist an diesem Satzanfang trotz WHO Definition falsch, wenn nach Röser links eine an Taubheit grenzende und rechts eine hochgradige Schwerhörigkeit vorliegt?
Falsch ist, dass man aus der Einohr-Beurteilung der WHO unzulässigerweise eine Zweiohr-Realität macht. Man kann sagen, nach WHO sind Sie mittelgradig schwerhörig, man kann aber nach WHO nicht behaupten, ich sei beidseitig mittelgradig schwerhörig. Eine Aussage über beide Ohren gibt die WHO Definition nicht her. Wollte man dies tun, müsste man beide! Ohren in die Berechnung einbeziehen, die Resultate zusammenaddieren und das Ganze noch einmal durch zwei teilen. In dem Fall (ich hab's grad mal nachgerechnet) liege ich dann schon deutlich bei WHO-3.
Solche Aussagen der
KK veralbert Hörbehinderte mit einem erheblichen Funktionsverlust beiohrigen Hörens.
Die
GKV kommt im verlinkten Artikel noch viel zu gut weg.
Aber das ist ja alles irrelevant, mir geht es immer noch um die Begründung der Nur-Betrachtung des besseren Ohr's. Irgendetwas Sinnvolles muss sich die WHO doch gedacht haben dabei.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 13:21
von KatjaR
Wenn es um den GdB geht, wird da auch der postulierte mögliche Teilausgleich einer Hörgeräteversorgung mit einbezogen in die Bewertung, welche Auswirkung an Teilhabe und Selbstbestimmung durch eine Behinderung verursacht werden. Wie und ob man diese dann versorgen oder es bleiben lässt, ist dann jedem selbst überlassen.
Ich bin vollständig taub, war mal guthörend, dann über 20 Jahre einseitig mit CI versorgt. Ich kann nur sagen, dass Welten dazwischen liegen, zwischen Taubheit und einseitigem (Wieder)hörenkönnen. Die Grundfunktion des Hörens (Kommunikation) ist auch mit nur einem Ohr erstmal gewährleistet.
LG Katja
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 13:44
von urlaubsreif
@KatjaR
Wenn es um den GdB geht
Um den geht es nicht!
Der wird noch immer nach Röser festgestellt.
Es geht um die Versorgung der Schwerhörigkeit, die nach WHO erfolgt. Und zwar hinsichtlich der zu gewährenden Festbeträge. Womit die
GKV das Urteil des BSG um höhere Festbeträge aushebelt.
Die Grundfunktion des Hörens (Kommunikation) ist auch mit nur einem Ohr erstmal gewährleistet.
Die Grundfunktion des Hörens ist zunächst einmal Hören. Also auch Geräusche, nicht nur Kommunikation.
Das ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass es eine pränatal angelegte Hartverdrahtung gibt zwischen Formatio Reticularis (Hirnstamm, steuert Aufmerksamkeit), Thalamus (emotionale Färbung von Klangereignissen: angenehm/unangenehm, gefährlich/ungefährlich) sowie dem auditorischen Kortext, die das Überleben sichern soll. Geräusche enthalten wichtige Informationen über Gefahr oder eben auch Nicht-Gefahr. Eng damit verbunden ist das daraus resultierende Sicherheitsgefühl. Sich sicher fühlen in seiner akustischen Welt. Sprachliche Kommunikation hat sich erst spät in der Menschwerdung entwickelt, das Hören an sich war immer da.
Wenn du plärrende Kleinkinder oder kläffende Hunde anzischt, halten sie nahezu immer sofort die Klappe. Zischlaute sind entwicklungsgeschichtlich mit Gefahr verbunden und erlangen deshalb sofortige Aufmerksamkeit. Wobei weniger wichtige Verhaltenssequenzen wie Schreien und Kläffen, unterbrochen werden
Diese Grundfunktion beidohrigen Hörens - Wahrnehmung der akustischen 360° Umwelt zur Gefahrenabwehr - ist mit einem Ohr nicht gesichert. Wofür auch die hohe Unfallquote Schwerhöriger spricht.
Hören in seiner Gesamtqualität für das reibungslose körperliche UND seelische Funktionieren des Organismus wird noch immer ganz gewaltig unterschätzt.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 14:10
von KatjaR
"Es geht mir wirklich grad nicht um die Zuzahlung, sondern um das Verständnis einer Definition, die mir sinnlos und falsch erscheint".
Daauf bezog sich meine Antwort halt. Auch die von dir aufgeführten Funktionen des Hörens werden zu einem großen Teil auch von einem Ohr erreicht. Dass die Funktion des beidseitigen Hörens nicht erreicht wird ist klar, und ich als langjährig Selbstbetroffene unterschätze das gewiss nicht, habe nur aufgeführt, warum in Bezug auf den GdB halt auch ein Teilausgleich bereits berücksichtig ist, was wohl auch bei der Definition nach WHO eine Rolle spielen dürfte. Daher stimme ich dem zu was Ohrenklempner schrieb, dass entscheidend ist, was das Gehör zu leisten in der Lage ist.
Dass vieles auch im Sinne von Kostenersparnis verdreht wird, und dass das nicht immer im Sinne von Betroffenen angewendet wird, ist vollkommen klar. LG und noch einen schönen Sonntag wünscht Katja
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 16:04
von EinOhrHase
Um es kurz und knapp zu sagen:
Die WHO (sofern sie je eine Organisation ist !) wird bezahlt um konfuse Regelungen zu Lasten der Schwerbehinderten aufzustellen. Das Anliegen dafür geht von der Regierung aus, die per Gesetz ! Schwerbehinderte diskriminiert.
.....und es wird schlimmer kommen.....
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 18:17
von Ohrenklempner
Jetzt wird es hier langsam echt crazy.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 21:05
von urlaubsreif
KatjaR hat geschrieben:
habe nur aufgeführt, warum in Bezug auf den GdB halt auch ein Teilausgleich bereits berücksichtig ist, was wohl auch bei der Definition nach WHO eine Rolle spielen dürfte.
Aaah, ok, ich beginne zu verstehen, worauf du hinaus möchtest.
Aber dass dieser "Teilausgleich" durch Hörhilfen bei der WHO Definition eine Rolle spielt bezweifle ich. Immerhin berücksichtigt der GdB beide Ohren. Wohingegen die WHO Definition nur das bessere Ohr in die Beurteilung einfließen lässt und damit zu einer Einschätzung gelangt, die weitaus "milder" ist als es den reellen Gegebenheiten entspricht.
Darüber hinaus gelten Hörverluste bis 40 dB als leichter Hörverlust, gefolgt von der Empfehlung, ein Hörgerät könnte (Konjunktiv! "may be needed") benötigt werden. Das spricht eher dafür, dass der Teilausgleich durch Hörgeräte NICHT in die Bewertung einfließt.
Erst ab 61 dB auf dem besseren Ohr werden Hörgeräte als "benötigt" bezeichnet.
Da 40 dB bereits ganz ordentlich sind, grenzt das mit einem noch schlechteren Zweitohr schon echt an eine gesundheitsgefährdende Einschätzung.
Was ich schräg finde ist, dass ich seit Tagen das Web absuche, um irgendeine wissenschaftlich fundierte Studie zu finden, welche die WHO Einteilung plus der Schlussfolgerungen daraus nachvollziehbar begründet. Nichts, niente, nada. Nicht einmal auf den Seiten der WHO finde ich dazu irgendwelche Informationen. Das einzige Dokument, das evtl. Aufschluss geben könnte, ist offenkundig gelöscht und nicht mehr zugänglich. 404 Error.
Man könnte also fast meinen, die WHO Kriterien für das "Hearing_Impairment" sind auf ähnlich mysteriöse Art und Weise vom Himmel gefallen wie einst die 10 Gebote.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 21:09
von urlaubsreif
@tabbycat
Lange Rede, kurzer Sinn
Schon ok.
Ich reagiere nur mittlerweile recht empfindlich, weil meine Nerven reichlich angesägt sind durch das endlose Gezerre mit der Krankenkasse, deren Haltung ich mehr als zynisch empfinde.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 10. Nov 2019, 21:29
von Randolf
die Moderatoren haben recht.
Da kann man nur zustimmen.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 11. Nov 2019, 13:47
von Dani!
urlaubsreif hat geschrieben:ab 80 dB sei man ja nicht mehr an Taubheit grenzend sondern schon praktisch taub bzw. resthörig. Ah ja.
Was ist daran verkehrt?
Also ich empfinde mich als "nur" an Taubheit grenzend. Nicht taub. Da ich nicht auf visuelle Unterstützung setzen kann und trotzdem was verstehen kann (mit
HGs), ist da noch Luft zu "Resthörig" (wenn auch nur sehr wenig). Schalleitungsschwerhörige z.B. haben da noch ordentlich Platz.
"Sie beantragen aufgrund Ihrer beidseitigen mittelgradigen Schwerhörigkeit..."
Preisfrage: was ist an diesem Satzanfang trotz WHO Definition falsch, wenn nach Röser links eine an Taubheit grenzende und rechts eine hochgradige Schwerhörigkeit vorliegt?

In dem Fall hoffe ich, dass du postwendend Widerspruch eingelegt hast. Ich sehe keine gültige Möglichkeit, aus (im besten Fall) einseitig hochgradig SH eine zweiseitig mittelgradige SH zu machen. Das geht nur, wenn hochgradig durch 2 geteilt wird, ist aber doch irgendwo sinnlos. Oder hast du dich hier vertippt? Ich denke nicht.
Was sich die WHO gedacht hat, da kann ich dir auch keine Antwort geben.
Re: Sinn der WHO Definition von Schwerhörigkeit?
Verfasst: 12. Nov 2019, 12:40
von urlaubsreif
@Dani
Also ich empfinde mich als "nur" an Taubheit grenzend. Nicht taub.
Also ich empfinde mich auch nicht als "taub".
Aber als nahezu taub und nichts anderes meint dieser HNO Gutachter, wenn er von "praktischer Taubheit" schreibt.
Denn ohne
HG's kann ich keine Gespräche mehr führen, höre keine Vögel mehr und das Meeresrauschen schon gar nicht. Das ist eine ziemlich praktische Auswirkung.
Weiß auch nicht, weshalb @Ohrenklempner den Verfasser anscheinend "gefressen" hat, sich an den Peanuts aufhängt, und das große Ganze außer Acht lässt. Denn tatsächlich gibt es auch keinen dB Wert von 81 im Audiogramm.
Aber wie gesagt, es gibt ohnehin keine gültige Rechtfertigung dieser unsinnigen WHO Einteilung.
Ich sehe keine gültige Möglichkeit, aus (im besten Fall) einseitig hochgradig SH eine zweiseitig mittelgradige SH zu machen. Das geht nur, wenn hochgradig durch 2 geteilt wird, ist aber doch irgendwo sinnlos.
Genau.
Widerspruch etc. ist alles schon durch.