Gehörlosigkeit + Hörgeräte?

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Karre
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Gehörlosigkeit + Hörgeräte?

#1

Beitrag von Karre »

Hallo ihr Lieben!

Ich habe eine Frage, zu meinem besseren Verständnis:

Kann es denn sein, dass ein gehörloses (leider keine näheren Infos dazu zwecks Ursache etc.) Kind mit Hörgeräten versorgt werden kann? Können diese so verstärken, dass auch ein Gehörloser(!) damit hören kann? Und stimmt es, dass dies immer vor der CI-Implantation ausgetestet wird?

Wenn ja, wann (Alter/Zeitpunkt) ist dies bei einem Kind sinnvoll?

Vielen Dank.
Nina M.
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Re: Gehörlosigkeit + Hörgeräte?

#2

Beitrag von Nina M. »

Es ist dann wohl die Frage was da jetzt "gehörlos" heißt. Es gibt in der Tat wenige Gehörlose die überhaupt gar keine Hörreste haben. Insofern wäre die Frage wieviel Hörreste das jeweilige Kind hat und ja, man kann dann versuchen diese Hörrestigkeit mit Hörgeräten zu versorgen. Ob das Erfolg hat hängt ebenfalls von der Hörschwelle ab.

Eigentlich sollte immer vor einer CI OP eine Hörgeräteversorgung ausgetestet werden, es ist allerdings schon so, dass man bei einer Hörschwelle von 100 oder 110 dB (insbesondere wenn die hohen Frequenzen so schlecht sind oder ganz fehlen) davon ausgehen kann, dass das Kind es mit CI sehr viel einfacher haben wird in die Sprache zu kommen.

Alter: Am besten sofort. Dank Hörscreening werden die meisten Kinder heute früh diagnostiziert, die erste HG Versorgung erfolgt manchmal schon mit 4-6 Monaten.

Parallel zur Diagnostik und Versorgung sollte unbedingt auch pädaudiologische Frühförderung stattfinden.

Gruß,
Nina
Schwerhörig seit dem 11. Lebensjahr, beidseitig mit CI's versorgt (1. CI 6/2003, 2.CI 10/2006)
Karre
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Re: Gehörlosigkeit + Hörgeräte?

#3

Beitrag von Karre »

Liebe Nina,

Vielen Dank für deine Antwort.

Das hat mir schon mal sehr weitergeholfen... Wie kommt es denn, dass der Begriff "Gehörlos" verwendet wird, wenn noch Hörreste da sind? Ab welcher dB-Zahl Hörverlust wird der Begriff verwendet?

LG
JND
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Re: Gehörlosigkeit + Hörgeräte?

#4

Beitrag von JND »

Hallo,

in der Versorgungsmedizinverordnung ist "Taubheit" definiert als eine Hörschwelle größer 85 dB bei 500 Hz, 1, 2 und 4 kHz.

Zur Versorgung von "gehörlosen" Kindern mit Hörgeräten:
Grundsätzlich sollte vor jeder CI-Operation ein Versuch mit Hörgeräten gemacht werden. U.a. auch, weil speziell bei Babys unter einem Jahr eher gesagt werden kann: Kind ist normalhörend (Hörschwelle unterhalb von 30-40 dB HL), Kind hat ne Schwerhörigkeit oder Kind zeigt keine Reaktionen auf BERA-Stimulation. Letzteres heisst aber nicht, dass das Kind taub ist! (Die BERA hat gewisse technische Schwierigkeiten und erlaubt vor allem bei tiefen Tönen keine Aussage über die tatsächlich vorhandene Hörreste. Auch ist bei normalhörenden Babys die BERA-Hörschwelle immer bei höheren Pegeln als bei normalhörenden Erwachsenen. Es kann also sein, dass bei einem BERA-Pegel von 100 dB nHL keine Schwelle detektierbar ist, die tatsächliche Hörschwelle (3 Jahre später ermittelt) des Babys bei 80 dB HL liegt.

Die heutigen Power-Hörgeräte verstärken dermaßen gut, dass man selbst bei einer Hörschwelle von 85 dB bei 500 Hz, 1,2 und 4 kHz zumindest noch in der Lage sein sollte Sprache (ansatzweise) zu verstehen. Wenn dann in den tiefen Frequenzen (unterhalb von 500 Hz) noch Restgehör vorhanden ist, sind die Chancen sogar noch besser.

Deswegen darf eine CI-Implantation bei einem Baby, das 6 Monate alt ist, durchaus kritisch gesehen werden. Zumal es Studien gibt, die belegen, dass bei einer CI-Versorgung nach dem ersten Lebensjahr keine Verluste in Sachen Sprachentwicklung auftreten...

Und für die Krankenkassen ist eine Hörgeräteversorgung sowieso immer billiger als eine CI-Versorgung;).

Schöne Grüße,

JDN
Nina M.
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Re: Gehörlosigkeit + Hörgeräte?

#5

Beitrag von Nina M. »

Karre hat geschrieben:Liebe Nina,

Vielen Dank für deine Antwort.

Das hat mir schon mal sehr weitergeholfen... Wie kommt es denn, dass der Begriff "Gehörlos" verwendet wird, wenn noch Hörreste da sind? Ab welcher dB-Zahl Hörverlust wird der Begriff verwendet?

LG
Das "Problem" ist, dass man da quasi unterscheiden muss zwischen medizinischer und hm ich sag mal pädagogisch/sozialer Definition.
Gehörlos bedeutet für viele Gehörlose nicht unbedingt eine Beschreibung des Hörverlustes sondern vielmehr die kulturelle Zugehörigkeit zur Gruppe der Gehörlosen und damit auch zur Kommunikation mit Deutscher Gebärdensprache (DGS).

In der medizischen Definition gibt es nach wie vor die Taubheit, das hat JND ja schon erläutert. Und auch was den Zeitpunkt der CI OP angeht stimme ich dem zu, eine OP sollte nicht unbedingt schon mit 6 Monaten erfolgen, sondern eine CI OP zwischen erstem und zweitem Lebensjahr ist ebenso ausreichend um gute Ergebnisse zu erzielen.
Schwerhörig seit dem 11. Lebensjahr, beidseitig mit CI's versorgt (1. CI 6/2003, 2.CI 10/2006)
Eine

Re: Gehörlosigkeit + Hörgeräte?

#6

Beitrag von Eine »

Hallo,

ich beschreibe es mal aus meiner Sicht.
Wir sind für uns selbst eine gehörlose Familie. Wir nutzen aber die CI- und HG-Versorgung, da wir alle über Hörresten verfügen. Jedoch stehen wir nicht den Hörenden, sondern den Gehörlosen von der Mentalität näher. Uns ist das Hören nicht so wichtig, das Hören und die Lautsprache ist zwar die Brücke zu der Welt, in der wir beruflich und auch sozial bewegen können. Aber ich finde es erschreckend, wie schnell man trotz Hörhilfen und Lautsprache nur nebenher mitlaufen kann. Und das ist auf Dauer nicht befriedigend und zufriedenstellend. An Inklusion muss noch viel getan werden. Ich interessiere mich z.B. schon darüber, worüber die Hörenden sprechen, trage mein CI und kann Lautsprache und trotzdem muss ich ständig nachfragen und von mir aus kommen und fragen, worum es eigentlich geht. Ich finde es schade, dass die Hörenden nicht immer den Biss finden, solche Leute locker einzubeziehen.

Unter Gehörlosen und Schwerhörige, die DGS, LUG verwenden, sind wir mittendrin!

Zudem bekommen wir auch je nachdem das "GL" vom Versorgungsamt anerkannt, weil wir die Voraussetzungen laut Versorgungsamt auch erfüllen.

Gruß

So, einigen wird mein Posting wohl nicht gefallen ;-)
Gabriele
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Registriert: 21. Apr 2006, 21:56
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Re: Gehörlosigkeit + Hörgeräte?

#7

Beitrag von Gabriele »

GUten Morgen

@ Karre
Sollte das Kind wirklich ein ein Kandidat für das CI sein, ist es umso wichtiger erstmal HG an zupassen damit der Hörnerv stimuliert wird.
Denn eine implantation ist nur mit intakten Hörnerv möglich.

@Eine,
ist dir schon mal die Idee gekommen das es nicht an dem CI oder HG liegt?

Unsere Mädels tragen beidseits CI, der Sohn HG und auch sie haben Schwierigkeiten und stoßen an Ihre Grenzen. Die älteste macht eine Ausbildung im Rathaus, auch nicht immer unproblematisch.
Aber nie kämen sie auf die Idee es als Problem zu sehen. Sie haben nun mal die Einschränkung und auch mit HG und CI wird man nie so hören wie ein normal hörender, auch wenn sie mit CI im Hörtest bei 100% liegen, das hören bleibt nun mal ein anderes.

Kann es nicht auch anders rum sein, das du als hörgeschädigter nicht genügend Biss hast einem Gespräch zu folgen?

Ok, das ist nun auch mal ganz provokant, weil ich es nie verstehen werde das die GL die Schuld immer bei den hörenden suchen.

LG
Gabi
Theresa 27, beids. CI ´08 u.´10 (N5)
Reimplantation re,2011 u. 2012
Lorenz 26, beids. Hg Sophia 23, beids. CI ´09 u.11 (Hybrid L )u.Kolobom
Alle Kinder progredient.
santiago
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Re: Gehörlosigkeit + Hörgeräte?

#8

Beitrag von santiago »

Hallo!
Gabriele hat geschrieben:Kann es nicht auch anders rum sein, das du als hörgeschädigter nicht genügend Biss hast einem Gespräch zu folgen?

Ok, das ist nun auch mal ganz provokant, weil ich es nie verstehen werde das die GL die Schuld immer bei den hörenden suchen.
Du selbst kannst es natürlich auch nicht verstehen da Du hörend bist :angel:

Ich denke mir Eine meinte damit stresslose Kommunikation bei der man entspannt miteinander plaudert ohne "Biss" haben zu müssen. In der Arbeitswelt braucht man sowieso genug Biss wodurch die GS in der Freizeit auch als erholsamer Ausgleich gesehen werden kann.

In größeren Gruppen und unter ungünstigen akustischen Bedingungen bedeutet "auch nicht immer unproblematisch" ja häufig dass man kaum was mitbekommt und sich als 5. Rad am Wagen fühlt. Natürlich könnte man dies auch ganz pragmatisch sehen aber welcher HG schafft das mental schon? In der Realität wird man häufig versuchen solchen Situationen auszuweichen was dann aber auch schnell zu einer Verringerung der sozialen Kontakten führt :(

Gruß
santiago
Zuletzt geändert von santiago am 3. Jun 2012, 22:43, insgesamt 2-mal geändert.
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