Nach 36 Jahren nun endlich stereo!

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Madel
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Nach 36 Jahren nun endlich stereo!

#1

Beitrag von Madel »

Hallo zusammen!

Ich bin neu hier, mein Name ist Madeleine, ich bin 36 Jahre alt und komme aus dem hohen Norden.
Bei der Geburt kam ich schon nicht ganz vollständig raus - Mikrotie 2. Grades plus Gehörgangstenose links, Mikrotie 3. Grades plus Gehörgangsatresie rechts. Nicht nur war ich nicht der erwartete Junge (weshalb ich drei Tage keinen Namen hatte und immer mit "Der schreit schon wieder!" angesprochen wurde), sondern mir wurde von den Ärzten auch prophezeit, dass ich nie hören und sprechen können werde. Was meine Eltern zum Anlass nahmen, ständig mit irgendwelchen Rasseln und Klappern um mich herumzulärmen, um zu sehen, ob ich reagiere - was inzwischen so einiges erklären dürfte. ;) Auch das mit dem Reden funktioniert prima, manchmal sogar zu gut, was mir sogar mein Mann heutzutage bestätigt. Also problemloser Spracherwerb. Ich lisple ein wenig, weil das ganze Gesicht und auch der Kiefer bei näherem Hinsehen ganz leicht schief ist. Vielleicht eine Art Goldenhar oder so? Irgendwann mal bei den Humangenetikern anrufen und blöd fragen, mal sehen, aber erstmal eins nach dem anderen.

Als ich klein war, wollten meine Eltern freilich keine Rabeneltern sein und mich vorbildlich ärztlich versorgen lassen. Der Forschungsstand war damals natürlich lange nicht so wie heute, weshalb ich irgendwann in Hannover beim damals schon berühmten Professor Lenarz persönlich landete. Was war ich kleines Ding stolz! Jemand so wichtiges! Meine Eltern waren so freundlich, dem Professor zu verbieten, mich seinen Studenten im Hörsaal vorzuführen, aber operieren sollte er mich, bitte, danke, denn dieses blöde Stirnband mit den damals so fürchterlich pfeifenden und hallenden Knochenleitungsgeräten hatte das arme Kind satt, zumal es im Kindergarten auch deshalb geärgert wurde. Kinder halt. Also bekam ich im Alter von fünf Jahren meine erste OP, eine Gehörgangserweiterung links, bei welcher der Gehörgang mit Oberarmhaut ausgekleidet wurde. Den gleichen Spaß gab es dann nochmal drei Jahre später, da man festgestellt hat, dass sich der Gehörgang wieder verengt hatte. Danach hatte das Kind endgültig die Faxen dicke!
Die ganzen OPs, Untersuchungen, Klinikaufenthalte, die Schmerzen, die Trennungsangst von den Eltern jedesmal vorm OP haben mich derart traumatisiert, dass meine Eltern irgendwann gesagt haben: wir lassen das jetzt so, das Kind hört einigermaßen. Wenn sie später noch mehr OPs will, soll sie das selber entscheiden. Im Nachhinein bin ich ihnen unheimlich dankbar dafür! Klar, rückblickend kann man sagen, dass ich vermutlich ein besseres Abitur gemacht hätte, mehr Freunde gehabt hätte, mein Leben insgesamt anders verlaufen wäre, wenn ich von vornherein beidseitig vollständig versorgt worden wäre, aber mit meinem heutigen Wissen wage ich zu behaupten, dass der Bruch des Urvertrauens vom Kind zu den Eltern schwerer gewogen hätte, wenn sie sich über meine Ängste hinweg gesetzt hätten.

So lebte ich also vor mich hin, die Irrungen und Wirrungen einer Kindheit, Jugend, jungen Erwachsenenalters. Ich kam immer einigermaßen zurecht, habe das Thema Ohren und Hören aber auch immer fleißig verdrängt. Hatte auch im Erwachsenenleben selten Schwierigkeiten wegen des Anblicks meiner Ohren, ab und zu hat halt mal jemand gefragt, das war aber völlig okay für mich. Habe dann auch irgendwann angefangen, die Ohren offen zu zeigen, sprich die Haare zusammenzubinden usw., damit Gesprächspartner gleich sehen können, dass die eventuell nicht so gut hört. :) Habe bei neuen Bekanntschaften auch immer auf meine Einschränkung hingewiesen, damit es mir nicht als Unfreundlichkeit ausgelegt wird, wenn ich mal nicht höre.

Nach dem letzten Umzug und Hochzeit bin ich dann an einen offensichtlich engagierten HNO geraten (HNOs habe ich sowieso gemieden wie der Teufel das Weihwasser, die wollten mich ja bloß operieren!), der mir mit Geduld und Empathie, aber eben auch mit Nachdruck verklickert hat, was für eine taube Nuss ich doch eigentlich bin. So landete ich also erstmal bei einer sehr jungen, sehr niedlichen Akustikermeisterin bei mir im Ort. Das Ergebnis: ein schickes kleines Beltone In Ear fürs linke Ohr, mit dem ich auf Arbeit sogar heimlich Hörbücher hören kann, wenn grad keiner da ist. :D Anpassung hat lange gedauert, fast ein Dreivierteljahr, aber was lange währt, wird ja bekanntlich irgendwann gut. Ich trage das Gerät gern und fühle mich sehr wohl damit, das Hören ist absolut natürlich, es koppelt und pfeift nichts. Zuzahlung waren knapp 500€, aber für die Qualität habe ich das gern gezahlt.
Die Akustikerin hatte eines Tages aber auch noch die glorreiche Idee, mir so einen speziellen Kopfhörer aufzusetzen - und ich hörte zum ersten Mal in meinem Leben Musik in meinem ganzen Kopf. Ich muss dagesessen haben wie vom Donner gerührt, denn ich weiß noch, wie sie gelacht hat. Und ich wollte mehr davon! Also wieder zum HNO, Überweisung nach Lübeck geholt. Das ging auch alles relativ zügig und zeitnah hockte ich dann bereits Ende März in Lübeck, wo alle wirklich furchtbar nett waren und sich echt viel Zeit für meine Fragen genommen hatten. Nach einigen Untersuchungen sollte es dann eine Soundbridge werden, aber ich sollte erst nochmal ins CT, gucken, wie es da drin so aussieht. Fehlte mir doch glatt ein Hammer! Alles andere war aber da und so sagte der Chef dann, dass er mir das Ding zu 99% einbauen kann. Sollte unterwegs doch irgendwas schief gehen, würde er mir gern ersatzweise die Bonebridge einbauen, womit ich einverstanden war. Hauptsache irgendwas einbauen, endlich stereo hören!

Und nun hocke ich wiederum, diesmal vorm PC und schreibe am 5. postoperativen Tag (von der ersten Vorstellung in Lübeck bis zur OP waren es also gerade mal zwei Monate, als stinknormaler Kassenpatient, Wahnsinn!), immer noch vollgepumpt mit antibiotischer Abschirmung, meinen Bericht. Ich bin nun offiziell mit Soundbridge gechipt (OP hat nur 1,5h gedauert und er hat's am Amboss festgebunden), fühle mich soweit okay, seit gestern zuhause, noch ein bisschen düdelig, aber mit Narkosen habe ich mich schon immer schwer getan, das dauert halt noch ein paar Tage. Abheilung ist, soweit ich das beurteilen kann, regelgerecht und interessanterweise tut die Soundbridge was. Was genau sie tut, weiß ich nicht, denn Aktivierung ist ja erst Ende Juni, aber irgendwas macht sie da. Mein Hören hat sich verändert, ich höre mich selbst, meine Atemgeräusche usw. recht laut, bestimmte Geräusche sind sehr unangenehm (z. B. Tütenrascheln, Geschirrklappern), aaaaa-ber ich habe das Gefühl, dass an manchen Stellen schon was stereoartiges bei mir ankommt, unbestimmt und verzerrt, aber irgendwas muss da sein. Besonders wenn mein Mann ein Bäuerchen macht. Scheint die perfekte Frequenz zu sein. :lol:

Auf jeden Fall ist alles furchtbar spannend, furchtbar aufregend, furchtbar interessant, furchtbar nervig, furchtbar alles, und zwar gleichzeitig! Nachdem ich mich erst wahnsinnig auf die OP gefreut und am Ende doch rumgeheult hab ("Das tut schon wieder weh, habe ich noch Paracetamol offen?"), hoffe ich nun, dass alles anständig verheilt und keine Infektionen kommen. Aber bei 3x täglich 1500mg Cefuroxim i.v. und in der Häuslichkeit 3x 875mg Amoxicillin würde mich das doch sehr wundern. Fäden kommen dann am 16.06. raus. Bin mal gespannt, was mein Heilfleisch dazu sagt, ich bin eine notorische Fadenfresserin, und weil die dann immer schon so schön mit eingewachsen sind, tut es dann auch immer ordentlich weh. Egal! Hauptsache bald stereo!

Bis dahin,
Eure Madeleine
Pfiff
Beiträge: 6
Registriert: 6. Jun 2025, 17:26

Re: Nach 36 Jahren nun endlich stereo!

#2

Beitrag von Pfiff »

Hallo Madeleine,

ich bin auch ganz neu hier, hab aber noch nichts geschrieben; vielleicht komme ich heute dazu, es nachzuholen.
Jedenfalls wollte ich Dir sagen, dass ich Deinen Beitrag sehr gern gelesen habe. Du bist lustig! Schreibst Du auch beruflich? Als Autorin?

Alles Gute wünsche ich Dir! Gute Genesung, viel Stereo, und hoffentlich gewöhnst Du Dich schnell an das neue Hören. Vor allem wünsche ich Dir, dass Ende Juni alles prima läuft!
Schöne Pfingsten und liebe Grüße
Sabine
rechts: 0.125-10 0.250-15 0.5-25 1-40 1.5-45 2-30 3-35 4-40 6-15 8-10
links: 0.125-20 0.250-20 0.5-30 1-45 1.5-40 2-40 3-35 4-25 6-20 8-15
AlfredW
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Registriert: 14. Nov 2005, 23:39
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Wohnort: Worms

Re: Nach 36 Jahren nun endlich stereo!

#3

Beitrag von AlfredW »

Hallo,

Klasse geschrieben

Schöne Pfingsten

Alfred
bds Innenohrschwerhörigkeit ca. 80 dzb
Phonak Audeo R P50 13T UP + TV-Link
rabenschwinge
Beiträge: 2694
Registriert: 22. Nov 2017, 19:47
7

Re: Nach 36 Jahren nun endlich stereo!

#4

Beitrag von rabenschwinge »

Hey Du,

hat Dir schon mal einer gesagt, dass Du unglaublich sympathisch klingst?

Herzlich Willkommen hier 🌹
Madel
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Registriert: 7. Jun 2025, 15:49
Wohnort: Schleswig-Holstein

Re: Nach 36 Jahren nun endlich stereo!

#5

Beitrag von Madel »

Moin miteinander!

Danke für euer Willkommen und eure netten Wünsche!
Heute geht es mir zum ersten Mal gefühlt wieder fast normal, ich habe sogar schon die Nachbarn mit dem Staubsauger genervt - man soll ja schön seinen Kreislauf in Schwung bringen - und später machen wir einen Spaziergang zur Eisdiele. Immerhin habe ich im KH glatt erstmal 1,5kg abgenommen, nicht, dass ich bald ganz dünn bin! :o :D

Nein, ich bin keine Autorin, obwohl das viele gern gesehen hätten. Heute bin ich nach einem nicht ganz geradlinigen Lebenslauf Einzelhändlerin (weshalb ich auch plane, meine AU voll zu genießen), aber ich habe mich schon immer gern mit Sprache beschäftigt und auch was damit studiert. Wer weiß, vielleicht schreibe ich doch nochmal ein Buch. Vielleicht denke ich mir ja ein Kinderbuch über Hörgeräte aus. Und mit Hasen. Mit ihren großen Löffeln hören die ja so super. Wie wäre es mit einem Hasenkind mit einem Mini-Ohr, das ein Hörgerät bekommt, das mit Karotten verziert ist? :mrgreen:

Genießt das Pfingstwochenende,
Eure Madeleine
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