HNO-Arzt brüllt mich an

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Pedigr - ohr
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HNO-Arzt brüllt mich an

#1

Beitrag von Pedigr - ohr »

Sehr geehrte Leser/-innen,

bei meinem letzten Termin beim HNO-Arzt vor Ort schilderte ich, wie ich arbeiten anstrengend finde, und manchmal unsicher bin, ob ich z.B. Kinder gut genug verstehen kann (ist für meine Arbeit wichtig).
Er schaute nur leicht aggressiv/verständnislos, so erklärte ich, dass ich eben auch müde bin und unter Konzentrationsproblemen leide, Dinge, Gesagtes vergesse. Er unterbrach mich und
brüllte mich an: " Sie müssen aufhören, sich selbst zu bemitleiden, Sie haben doch ein Hörgerät!" Als ich nach Pause ruhig anfing zu schildern, dass Hören mit Hörgerät anders ist, unterbrach er mich wieder, betonte: "Sie analysieren das alles vieel zu genau.... Sie müssen zum Psychologen. Und das sprengt hier auch einfach den Rahmen, dafür habe ich keine Zeit!"

Dann weigerte er sich, mich wegen meiner Nebenhöhlenprobleme damals zu behandeln, und verwies mich der Praxis.

Danach war ich bedient, und habe seitdem Angst vor HNO - Ärzten.


Wie sind hier die Erfahrungen?
Haben HNO - Ärzte keine Vorstellung von Hören mit Hörgeräten? Wird man mit den Folgen im Alltag für einen Simulanten gehalten, und ist es normal, der Praxis verwiesen zu werden??

MIt traurigen Grüßen,

Pedigr - Ohr
KatjaR
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Re: HNO-Arzt brüllt mich an

#2

Beitrag von KatjaR »

Liebes Ohr,
da ich nicht weiß ob du Mann oder Frau bist die Anrede. ;)
Erstmal tut es mir sehr leid für dich, dass du solche Erfahrungen mit einem "Fachmann" machen mußtest, aber leider haben HNO-Ärzte oft wirklich von den Auswirkungen einer Hörschädigung kaum Ahnung, oder wollen sich damit auch nicht beschäftigen.
Was du schreibst ist ja total typisch für Schwerhörigkeit. Schwierigkeiten Kinder zu verstehen wegen Hochtonverlust, Konzentrationsprobleme durch Müdigkeit und Erschöpfung, Gedächtnisprobleme. Kurz gesagt Hörstress, der sich auch auf weitere Bereiche als das unmittelbare Verstehen auswirkt.
Das Kommunikation im nicht ruhigen Alltag für Hörgeschädigte eine Art mentaler Hochleistungssport ist, versteht kaum einer, weil wir in ruhigen Situationen mit Mundbild nach außen nicht beeinträchtigt wirken. Also müssen geschilderte Probleme ja übertrieben sein....
Dass allerdings ein Hörgerät keine Brille ist, sollte so jemandem doch wenigstens bewusst sein.
Aus meiner Sicht würde ich schauen dass ich einen anderen HNO finde. Aber auch der, wird dir wohl bei deiner akuten Problematik selbst nicht weiterhelfen können.
An deiner Stelle würde ich mal mit dem Hausarzt sprechen und ihn um eine Rehaempfehlung bitten.
1. Damit du in einer Auszeit mal zu Kräften kommen kannst und 2. um mit Personen zu sprechen, die sich als Fachleute mit dem Thema auskennen und damit sachlich und hilfreich auf deine Probleme eingehen können. 3. Um austausch auch mit anderen Betroffenen zu bekommen, die dich etwas aufbauen, dass du dich keinesfalls als simulantin fühlen musst. Grade in der Maskenzeit steigt für uns Hörgeschädigte der Hörstress ja oft noch mehr, da das Mundbild fehlt und Verstehen in vielen Situationen noch schwieriger wird.
Reha würde ich in deinem Fall versuchen in einer Klinik zu machen, die sich mit Hörschädigung und Psyche auskennt. Bad Arolsen, Rendsburg, Bad Nauheim, St Wendel, Bad Salzuflen sind Kliniken mit Schwerpunkt Hörschädigung. Schau da doch ma rein was dir zusagt und probiere es aus.
Auch Kontakt zu anderen Hörgeschädigten auch außerhalb der Reha hilft oft, sich zumindet mit diesen Problemen verstanden zu fühlen, welche das hörende Umfeld und leider auch "Fachleute" oft nicht nachvollziehen können. Leicht mündet so was auch über die Überforderungsschiene in eine sekundäre Depression und wird dann als rein psychisch angesehen. Psychologische Hilfe halte ich für sinnvoll, aber nur, wenn sie den Gesamtzusammenhang versteht und dabei hilft, Wege zu finden sich vor weiterer Überfoderung zu schützen.
Hast dein HNO beim letzten Termin denn gecheckt ob sich dein Hörverlust verstärkt hat, die jetzigen Hörgeräte noch reichen? Wenn nicht, würde ich das natürlich erstmal abklären
Viel Kraft und alles Gute wünscht
Katja
Langjährige CI-Trägerin (AB) Das Leben und dazu eine Katze, das gibt eine unglaubliche Summe.
(Rainer Maria Rilke)
Pedigr - ohr
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Wohnort: Baden-Württemberg

Re: HNO-Arzt brüllt mich an

#3

Beitrag von Pedigr - ohr »

Liebe Katja,

vielen Dank für die aufbauende, verständnisvolle Antwort! Es tut gut, bestätigt zu bekommen, dass HNO-Ärzte (hoffentlich nicht alle) sich auch nicht wirklich das "andere Hören" mit Hörschaden und Hörgerät vorstellen können oder möchten.
Das ist schade, sind sie doch offiziell HN - "O"-Ärzte, aber das "O" ist wohl Vielen ein Fremdwort.
Ich bin weiblich, 44, und danke Dir für die Bestätigung, dass Hörstress beim Hören als Hörgeräteträgerin ("müde", "unsicher", "muss nachfragen, andere sind genervt" und in anderer Form) auftritt und unabhängig von der psychischen Wirkung (Stress, Depression, Burnout, anderes) einen Namen hat (Ich stimme Dir zu, dass ich sicherlich evtl. auch auf der psychischen Ebene auf den Hörstress mit depressiven Sichtweisen reagieren kann, teilweise). Zum Glück bin ich seither bei einem verständnisvollen HNO-Arzt. Und meine Hausärztin betonte, da er ! (ohne mein Wissen einen Bericht über mich an sie schickte), dass dieser Arzt sich irrt, und Hörgeräte-Hören anstrengend ist.

Eine aufmunternde Reha hatte ich vor einigen Jahren in der Bosenbergklinik. Dort hieß es tatsächlich unter den Hörgeschädigten, dass viele HNO-Ärzte eigentlich "HN"-Ärzte sind... Ich wollte es damals noch nicht so sehen. Im Moment kann ich meine Arbeitszeit einfach reduzieren. Ich wollte das Thema aber generell ansprechen.
Danke für die Einschätzung, dass wir leider auch dort oft unsere spezielle Hörsituation schildern müssen.

Ich hoffe, andere können sich hier auf Wunsch auch gut für die Aufklärung über Hörstress (Stichworte: Hörermüdung, Klangverzerrung, Hörgeschädigtes Hören ist aktives Denken, oder so, u.v.m.) austauschen.

Ich suche oft nach Vergleichen. Die Reha sagte Hörgerätehören ist wie ein Marathonlauf mit Krücken. Mein Mann meinte neulich, gesundes Hören gleiche einer Autobahn, hörgeschädigtes Hören einem einspurigen Waldweg mit Schranke, unter der nur langsame Menschen (Töne...) durchkommen, und natürlich alles langsamer und weniger.

Falls jemand das hilfreich findet wie ich.

Vielen Dank nochmal!

Einen wunderschönen Abend, Grüße aus Süddeutschland,

Pedigr-Ohr
Randolf
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Re: HNO-Arzt brüllt mich an

#4

Beitrag von Randolf »

Hallo,

nach der Beschreibung liegt m. E. eine erhebliche Hörminderung vor, die nicht nur geringfügig ist und leicht durch HG ausgeglichen werden kann.

Ich halte es für sinnvoll, einen Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis zu stellen.

Wenn die Rehabilitation vor mehr als 3 1/2 Jahren war, würde ich einen neuen Antrag stellen. Auch Bad Berleburg und Bad Grönenbach bieten m. W. Rehabilitationen für hörbehinderte Menschen.

Gruß
Randolf
KatjaR
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Re: HNO-Arzt brüllt mich an

#5

Beitrag von KatjaR »

Liebe Pedigr - ohr,
wegen des Vergleichs von gesundem Gehör zu Hören mit Hörschädigung, möchte ich eine Internetverbindung bemühen.
Mit gesundem Gehör, flott, synchron bei Bild und Ton, ohne Aussetzer, Highspeedverbindung sozusagen mit Glasfaser.
Bei Hörschädigung, langsam, störanfällig, mit Aussetzern in der Verbindung, fehlende Synchronizität von Bild und Ton.
Fast jeder weiß heutzutage wie extrem nervig langsame schlechte Internetverbindungen sind und wieviel mehr Zeit und
Energie man braucht, um dieselbe Arbeitsleistung am PC man aufzubringen.
Es dauert nicht nur länger, sondern stresst auch mehr.

Daher finde ich Psychoedukation sehr wichtig, nicht nur bei CI, auch bei Hörgeräteträgern.

"Unter diesem theoretisch anmutenden Begriff versteht man die umfassende Aufklärung über alle Aspekte einer gesundheitlichen Problematik, die auch die psychischen und sozialen Folgen mit beinhaltet. Vielen Betroffenen sind die Zusammenhänge zwischen Hörstörungen und Folgewirkungen nur unzureichend bekannt. Oft herrschen Irrtümer und Unwissen vor, über das Hören mit CI. Wenn man selbst nicht Bescheid weiß über seine Besonderheiten in der Kommunikation, kann man diese auch anderen nicht vermitteln und diese können nicht auf einen eingehen. Auch die psychischen Folgewirkungen von Hörstress, Über- oder Unterforderung sind vielen nicht bekannt, da Hörschädigung ja keine psychische Störung ist. Häufig klagen Betroffene über Konzentrationsprobleme, Gedächtnisstörungen und/oder Müdigkeitsgefühle. Vielen ist nicht bewusst, dass die Kompensation von Hörschädigung ein konzentrativer Kraftakt ist, der viele kognitive Ressourcen verbraucht".

"Ein weit verbreitetes Phänomen bei Hörschädigung sind (soziale) Ängste. Durch Angst vor Nachfragen und Missverstehen, Kommunikationsabhängigkeit, sowie der Sorge andere durch Nichtverstehen zu belasten, entstehen oft sogenannte sozialphobische Reaktionen und Verstecktaktiken in Bezug auf die Hörschädigung. Häufen sich die Misserfolgserlebnisse leidet darunter oft das Selbstvertrauen, und es kommt zu Rückzugstendenzen und Isolierung. Dadurch können auch depressive Entwicklungen folgen, da soziale Kontakte oft nicht mehr ausreichend vorhanden sind und gepflegt werden können. Laut einer Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung von Hörschäden, ist das Risiko an einer Depression zu erkranken für schwerhörige erwachsene Menschen mittleren Alters um 57% höher als bei hörgesunden Menschen vgl. Neubauer, Gmeiner, 2011. Auch mit einem Hörgerät oder Cochlea Implantat bleibt man weiterhin hörgeschädigt, das Hören ist zwar meist erstmal wiederhergestellt, aber darüber hinaus muss auch das Verstehen damit trainiert werden und in einem weiteren Schritt bei manchen Hörgeschädigten auch die Kommunikation und das soziale Miteinander".

HNO-Ärzte können so eine Entwicklung leider auch beschleunigen...

Liebe Grüße Katja
Langjährige CI-Trägerin (AB) Das Leben und dazu eine Katze, das gibt eine unglaubliche Summe.
(Rainer Maria Rilke)
Tuchel48.1.1
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Re: HNO-Arzt brüllt mich an

#6

Beitrag von Tuchel48.1.1 »

Hallo, vor so einem Doktor kann man nur warnen! Wo der sein Studium gemacht hat? Von Schwerhörigkeit keinen blassen Schimmer!
Ich würde da kein zweites Mal hingehen und andere vor ihm warnen! DAs ist ja eine Zumutung!
Randolf
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Re: HNO-Arzt brüllt mich an

#7

Beitrag von Randolf »

Hallo Pedigr - ohr,

gibt es denn einen weiteren HNO - Doktor in deiner Erreichweite?

Gruß Randolf
Pedigr - ohr
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Re: HNO-Arzt brüllt mich an

#8

Beitrag von Pedigr - ohr »

Guten Tag!
zu Tuchel: Danke, dass sein Verhalten das Gegenteil von hilfreich oder wertschätzend war sehe ich inzwischen auch so. Danke für die moralische Unterstützung. Vor ihm warnen finde ich vielleicht wirklich nötig. Ich war danach "so klein mit Hut", obwohl so jemand unterstützend sein sollte, das ist unverantwortlich...

zu Randolf: ich fahre jedenfalls lieber 40 km als mir von dem nochmal die Menschenwürde absprechen zu lassen

Vielen Dank für Eure Kommentare, Ihr habt mich toll unterstützt!!

Pedigr - Ohr
akufrank59
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Re: HNO-Arzt brüllt mich an

#9

Beitrag von akufrank59 »

Hallo Pedigr-Ohr,

"..., dass viele HNO-Ärzte eigentlich "HN"-Ärzte sind..." Klasse formuliert :yes:

Vorige Woche schrieb ich in einem anderen thread, dass HNO-Ärzte SEHR UNTERSCHIEDLICH audiologisch interessiert sind. Manche haben's eben mehr mit Rachenmandeln, Nasenscheidewänden und ggf. noch Schnarchtherapie :69:

In meinem Berufsleben (ab 1980) hatte ich bis jetzt Glück mit einer echten Mehrzahl an engagierten Audiologen unter ihnen.
Obwohl es als Akustiker reizvoll sein kann, "weniger reingeredet zu bekommen."

Aber dein anfangs erzähltes "Erlebnis" (wohl besser: Trauma) mit dem genervten HirNi-O ist ein Negativbeispiel, wie es negativer nicht geht, es sei denn, er schlägt dich auch noch :evil:

Lass dir auch in Zukunft nichts gefallen und viel Glück in deiner neuen HNO-Praxis !

lg Frank
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