Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

Alex68
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#101

Beitrag von Alex68 »

AnnaGreta hat geschrieben: 2. Sep 2022, 21:39 Probier es doch einfach aus, lieber Alex .
Ein Probegerät kostet ja nichts, und der Akustiker ist dir nicht böse, wenn du es zurück gibst.
Vielleicht geht es dir dann ja wie mir: Ich hatte am Anfang nur einen leichten Hörverlust auf dem linken Ohr. Ich bin mit dem Probegerät an die Ostsee gefahren und auf einmal rauschte das Meer LINKS. Ich war total hingerissen ! Und es war so entspannend, auf einmal nicht mehr dauernd "wie bitte" sagen zu müssen.

Heute, 15 Jahre später, habe ich mit Hörgeräten ein Sprachverständnis von 100%. Das ist auf die frühe Versorgung zurückzuführen, sagt meine Akustikerin.
Hallo Anna Greta,
auch wenn der Post hier schon älter ist. Ja, ich habe mich ja dann für HG entschieden und es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung.
Das war auch meine Intention, dass bei einer frühzeitigen Versorgung das Hörvermögen mit HG dann auch noch in vielen Jahren Richtung 100% bleibt.
Mann hört diesen Ratschlag ja sehr häufig.
Hat hier eigentlich irgend jemand dazu genauere Daten und evtl. wissenschaftliche Untersuchungen, ob das belastbar ist. Oder können die Akustiker aus langjähriger Erfahrung mit Kunden das so bestätigen?
VG
Alex
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Ohrenklempner
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#102

Beitrag von Ohrenklempner »

Alex68 hat geschrieben: 20. Sep 2022, 14:12 Das war auch meine Intention, dass bei einer frühzeitigen Versorgung das Hörvermögen mit HG dann auch noch in vielen Jahren Richtung 100% bleibt.
Ja, nein, das ist nicht so.
Die Empfehlung, frühzeitig mit Hörgeräten anzufangen, beruht viel mehr darauf, die Umgewöhnung in der Wahrnehmung so gering wie möglich zu halten.

Beispiel: Hildegard Müller (94) geht zum Akustiker, weil ihr Hörgeräte verschrieben wurden. Sie hat beidseits einen hochgradigen Hörverlust und ihre Angehörigen können sich schon seit Jahren nur noch durch Geschrei mit ihr verständigen. Für Hildegard ist die Welt schon 10 Jahre oder länger sehr still und nur laute Geräusche hört sie noch.
Jetzt kommt der gutmütige Hörakustiker und passt Hildegard Hörgeräte an. Um den Hörverlust bestmöglich auszugleichen, braucht es schon ordentlich Verstärkung auf den Ohren. Aber, oh je, Hildegards ruhige Welt gerät aus allen Fugen. Sie hört plötzlich wieder jedes Papierknistern, jedes Fußbodenknarzen, jedes Tellerklappern, die tickende Wanduhr und vieles mehr... ganz zu schweigen, wenn sie aus dem Haus geht: Wind, Autos, lachende Eltern, schreiende Kinder. Hildegard ist völlig überfordert und will am liebsten keine Hörgeräte mehr tragen. Der einzige Weg zum besseren Hören ist in diesem Fall, wenn man die Verstärkungseinstellung zunächst auf ein gerade erträgliches Niveau reduziert. Das hat allerdings zur Folge, dass die Hörverbesserung nur minimal ist. Hildegard hat also die Wahl -- entweder mehr hören und besser verstehen, dafür Chaos im Kopf, oder weniger hören und schlechter verstehen, damit es nicht so schlimm ist. Beides ist nicht optimal, daher wird es eher schwierig mit einer erfolgreichen Versorgung und bedarf viel Zeit und Kraft, die Hörgeräte letztlich zu akzeptieren und damit deutlich besser zu hören.

Was die Situation kompliziert macht, ist die Natur der Wahrnehmung im Kopf: Was lange nicht gehört wurde, wird verlernt. Jedes Geräusch, jede Stimme (auch die eigene!), alles ist bei einer neuen Hörgeräteversorgung neu fürs Gehirn und muss trainiert werden. Schlimmer, alles, was ungewohnt ist, ist für das Gehirn "wichtig" und drängt sich aktiv in den Fokus der Wahrnehmung. Unser eingebauter Wahrnehmungsfilter muss erst trainiert/angelernt werden. Je früher man anfängt, desto bekannter sind die Klänge und desto leichter fällt die Umgewöhnung. Der Idealfall ist ein gering- bis mittelgradiger Hochtonhörverlust. Bei dieser Art von Hörverlust merken die Betroffenen nach einer Hörgeräteanpassung kaum, dass etwas anders ist. Erst wenn man die Hörgeräte herausnimmt, wird alles wieder dumpf. Hörgeräte rein -- alles wieder hell und klar, ohne dass viele ungewohnte Klänge den Kopf belasten. Genau an diesem Punkt sollte man anfangen.

Bei gering- bis mittelgradigen Schwerhörigkeiten wird sich das Gehör nicht mehr oder weniger schnell verschlechtern, ob mit oder ohne Hörgeräte. Mit Hörgeräten vermeidet man die soziale Isolation, verringert die Höranstrengung (und peinliche Situationen) und macht es sich später leichter, wenn das Gehör im Alter zunehmend schwächer wird.

So viel wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. :D
Rondomat
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#103

Beitrag von Rondomat »

:yes: War aber nicht verkehrt, soviel zu schreiben. Das sollte man irgendwo anpinnen können, zum Wiederfinden.
Viele Grüsse, Rainer
_________________________________ Ich habe dauernd Med-el's im Kopf ....
Ohrenklempner
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#104

Beitrag von Ohrenklempner »

Lieber nicht anpinnen, ich befürchte, dass das Beispiel mit Hildegard als stigmatisierend, vorurteilsbehaftet und diskriminierend hingestellt wird. 🫢
Oolong
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#105

Beitrag von Oolong »

@Ohrenklempner,
mir hat Dein Text auch gefallen. Ich schließe mich Rainers Meinung an, dass der Text so gut ist, dass er wiedergefunden werden sollte. Du hast es prima beschrieben, wie es ist, wenn man sich an Hörgeräte gewöhnen muss (will).

Was ist denn an dem Beispiel stigmatisierend? Das Alter oder der Name?

LG und schönen Abend
Oolong
Hanne
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#106

Beitrag von Hanne »

@Ohrenklempner. Man sollte deinen Text kopieren und immer dabei haben, wenn man gefragt wird, warum man früh genug Hörgeräte tragen sollte! Danke!
"Erst wenn man die Hörgeräte herausnimmt, wird alles wieder dumpf. Hörgeräte rein -- alles wieder hell und klar, ohne dass viele ungewohnte Klänge den Kopf belasten." Genau so empfinde ich das und bin heilfroh, dass ich rechtzeitig anfing!
-------2022------
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Nohrbert
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#107

Beitrag von Nohrbert »

@ohrenklempner

So ungefähr hat mir mein HA das auch bei der Erstversorgung erklärt. Ich denke der gewichtigste Punkt ist die menschliche Isolation, sofern man intensiv soziale Kontakte pflegt oder benötigt. Ich habe das am eigenen Leibe erfahren müssen, sowohl im privaten Umfeld, als auch beruflich.

Man bekommt vieles nicht mehr mit, die ganzen Randgespräche z.B., die durchaus wichtige Informationen beinhalten können. Am Frühstückstisch habe ich vieles nicht mehr mitbekommen, es fiel nur auf, wenn ich nach etwas fragte und die anderen ungläubig guckten mit dem Hinweis , da habe man doch gerade drüber gesprochen. Beruflich war ich irgendwann nicht mehr in der Lage Besprechungen zu folgen und konnte deshalb nicht mehr aktiv teilnehmen.

Mein Schlüsselerlebnis war eine Besprechung, in der mir ein Kollege gegenüber saß und etwas zu mir sagte. Ich musste dreimal nachfragen. Beim dritten Mal verstand ich den Satz. Er sagte: Du hast heute irgendwie so einen Dackelblick!

Soll heißen, Du guckst in die Welt, als hättest Du keine Ahnung wovon wir sprechen.

Das war hart! 3 Wochen später hatte ich meine ersten Hörgeräte.
AnnaGreta
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#108

Beitrag von AnnaGreta »

Alex68 hat geschrieben: 20. Sep 2022, 14:12
AnnaGreta hat geschrieben: 2. Sep 2022, 21:39 Probier es doch einfach aus, lieber Alex .
Ein Probegerät kostet ja nichts, und der Akustiker ist dir nicht böse, wenn du es zurück gibst.
Vielleicht geht es dir dann ja wie mir: Ich hatte am Anfang nur einen leichten Hörverlust auf dem linken Ohr. Ich bin mit dem Probegerät an die Ostsee gefahren und auf einmal rauschte das Meer LINKS. Ich war total hingerissen ! Und es war so entspannend, auf einmal nicht mehr dauernd "wie bitte" sagen zu müssen.

Heute, 15 Jahre später, habe ich mit Hörgeräten ein Sprachverständnis von 100%. Das ist auf die frühe Versorgung zurückzuführen, sagt meine Akustikerin.
Hallo Anna Greta,
auch wenn der Post hier schon älter ist. Ja, ich habe mich ja dann für HG entschieden und es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung.
Das war auch meine Intention, dass bei einer frühzeitigen Versorgung das Hörvermögen mit HG dann auch noch in vielen Jahren Richtung 100% bleibt.
Mann hört diesen Ratschlag ja sehr häufig.
Hat hier eigentlich irgend jemand dazu genauere Daten und evtl. wissenschaftliche Untersuchungen, ob das belastbar ist. Oder können die Akustiker aus langjähriger Erfahrung mit Kunden das so bestätigen?
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Alex
Das ist ja nett, dass du noch mal antwortest, Alex ! Es wäre interessant, ob es wissenschaftliche Untersuchungen gibt. Liebe Grüße ! Anna Greta
Dani!
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#109

Beitrag von Dani! »

Seriöse wissenschaftliche Studien zu diesem Thema zu finden dürfte schwierig werden. Denn nichts ist unterschiedlicher als das menschliche Gehör. Dennoch kann man statistisch festhalten, dass das Hörvermögen leichter wieder erlangt werden kann, je früher man mit dem ausgleichen des Hörverlust mittels Hörgeräte anfängt.

Der Grund ist folgender: bei fehlendem Input baut das Gehirn an entsprechender Stelle ab und nutzt die frei gewordenen Ressourcen für andere Dinge. Je länger der Input fehlt, umso mehr wird abgebaut.

Es ist möglich, auch später das verlorene Hörvermögen mittels Hörgeräte wieder (im Rahmen des Hörverlusts) zu erlangen. Aber durch das Neuanlegen des Gehirns dauert das wesentlich länger. Die meisten zu spät Versorgten klagen zu Beginn über viel zu laute Geräusche und dass alles schrill ist
Dominik
R: 20.2.20: Med-el Sonnet2
L: 16.12.20: Med-el Sonnet2
Vorsicht bissig.
Alex68
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#110

Beitrag von Alex68 »

Seriöse Einschätzungen und Statistiken können doch bestimmt die Akustiker hier abgeben.
Wie schaut denn sie reale Welt aus?
Gibt es eigentlich viele HG Erstanpassungen bei Personen,
wo die Indikation gerade so gegeben ist - d.h eine
noch leichte Hörschwäche oder sind es doch meist die Anpassungen, wenn der HV schon stärker ist.
Und ist die Anpassung bei den leichten HV dann wirklich viel einfacher?
Vielen Dank für Eure Einschätzungen
LG Alex
HV 125hz 500hz. 1khz. 2khz. 3khz. 4khz. 6khz. 8khz.
R. 20. 15. 25. 20. 30. 40. 40. 80
L. 20. 20. 20. 20. 25. 35. 40. 50
HG seit Dez.20 aktuell Phonak P50
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Re: Hörtest - Hörgeräte wirklich erforderlich? - oder wann der richtige Zeitpunkt für Hörgeräte

#111

Beitrag von Ohrenklempner »

Puuh, also eine ausreichende Datenbasis hätte ich wohl, aber zur Auswertung müsste ich nen Statistiker mit Programmierkenntnissen ransetzen. :D
So aus dem Bauch heraus eingeschätzt sind die meisten Erstanpassungen mittelgradige Hörverluste. Was auffällt, dass in den letzten Jahren die Leute tendenziell früher mit Hörgeräten anfangen. Vor 10 Jahren gab es kaum Neuversorgungen mit geringgradigem HV, zumindest lange nicht so zahlreich wie heute.
Und definitiv ist es auch so, dass mit steigendem Alter und steigendem Hörverlust die Akzeptanz deutlich schlechter wird. Bei den Älteren muss man viel vorsichtiger in der Erstanpassung sein, um das richtige Maß aus Hörverbesserung und Akzeptanz zu finden. Den "Jüngeren" geb ich DSLv5 auf 100% aufs Ohr und sie sind glücklich. 😁
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